■ Neues aus der geopolitischen Denkfabrik
: Die Gleichgeschalteten retten!

Es ist wahr, wir leben leider in einer geschichtsvergessenen Zeit, sind leicht, wenngleich nur flüchtig erregbar, lassen uns gern von den Bildern des Augenblicks (zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina: Flüchtlingskolonnen, massenhaft herumliegende Tote, Menschen hinter Stacheldraht) fortreißen, ohne die großen Linien historischer Kontinuität, vor allem die des deutschen Imperialismus, im Auge zu behalten. Wolfgang Michal, Geo-Redakteur, hat uns in der gestrigen Ausgabe der taz wichtige Hinweise für die Korrektur dieses Fehlers gegeben.

Wir erfahren, daß „die deutsche Machtpolitik schon immer ein durchgehendes Einflußgebiet von Borkum bis Basra, von der Adria bis zum Persischen Golf“ haben wollte. Schon immer, bis heute. Wer uns so dezidiert die Augen öffnet, hat es wirklich nicht nötig, auch nur mit einem winzigen Sätzchen die Plausibilität dieser Behauptung nachzuweisen. Es reicht die Alliteration von B bis B (warum eigentlich nicht von A bis A, von Amrum bis Astrachan?). Einflußzonen stehen nun mal fest, sonst müßte ein Geo-Redakteur sich mit so lästigen, in der großen geopolitischen Schau völlig unerheblichen Größen wie Kapitalexport, ausbeutbaren Resourcen et cetera herumschlagen.

Die Deutschen wollen nun mal, so Michal, „mit aller Gewalt“ Europa einigen, und weil dieses imperialistische Streben von den Konkurrenten frustriert wird, weichen sie auf Nebenkriegsschauplätze aus: Brent Spar, Moruroa, Bosnien. Eine Belehrung zur rechten Zeit. Wir glaubten schon, es gelte, der Vergiftung der Nordsee und der Gefährdung des Lebens auf polynesischen Eilanden durch Frankreichs Atomtests Einhalt zu gebieten. Wie unverzeihlich naiv! Tatsächlich geht es um die Äußerungsformen der „deutschen Hysterie“, die Europa schon zweimal in diesem Jahrhundert in die Katastrophe gestürzt hat.

Schade nur, daß die unter uns, die aus Dummheit oder weil sie Imperialistenknechte sind, für ein militärisches Eingreifen zum Schutz der bosnischen Zivilbevölkerung plädieren, noch nicht beim Kanzleramt um eine größere Spende für die taz nachgesucht haben. Solche Systemtreue müßte doch eigentlich, wie weiland in den Sommertagen des Jahres 1914, belohnt werden. Auf alle Fälle – vielen Dank auch für diesen historischen Hinweis, Wolfgang Michal! C. S.