Ein Kulturgut expandiert

Die Schweizer Einzelhandelskette Migros hat sich von ihrem finanziellen Desaster mit der österreichischen Konsum-Gesellschaft gut erholt  ■ Aus Basel Judith Raupp

Auf ihren „Dutti“ lassen Schweizer nichts kommen – und Schweizerinnen schon gar nicht. Gottlieb Duttweiler, der 1925 die Migros aus der Taufe hob, rangiert in ihrem Ansehen gleich hinter Wilhelm Tell. Jeder zweite Haushalt in der Schweiz ist Genossenschaftsmitglied bei Migros. 70.000 Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt beim „orangenen Riesen“ und sind stolz darauf, das Erbe Duttweilers zu pflegen.

Nicht einmal der jüngste Riesenreinfall in Österreich hat das Urvertrauen erschüttert. Dabei setzte der Genossenschaftsbund in der Kooperation mit der finanziell angeschlagenen österreichischen Konsum-Gesellschaft mehrere Millionen Franken in den Sand. Die Übernahme von 100 Familia- Märkten, an denen Konsum zu 25 Prozent beteiligt war, und die als Joint-Venture betriebene Supermarktkette und Marketinggesellschaft sollte dem Genossenschaftschef Eugen Hunziker einen Ehrenplatz in den Migros-Annalen sichern. Statt dessen kann er nun froh sein, daß ihn sein Ehrgeiz nicht den Kopf gekostet hat. Und das auch nur, weil Konsum-Österreich bereit ist, die Verträge mit Migros wieder zu lösen.

Da besinnen sich die Manager wieder auf das Ziel Gottlieb Duttweilers, das er festschrieb, als er 1941 die Migros-Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft umwandelte und die Anteilsscheine an seine Kunden verschenkte. „In gemeinsamer Selbsthilfe ihren Mitgliedern und der Bevölkerung im allgemeinen in günstiger Weise Waren und Dienstleistungen von guter bis hoher Qualität sowie Kulturgüter zu vermitteln“ ist seither das oberste Gebot der zwölf Regionalgenossenschaften, die autonom und nicht gewinnorientiert wirtschaften.

In den Verkaufsregalen der 570 Fach- und Supermärkte bieten sie zu Niedrigpreisen Lebensmittel, Textilien, Haushaltswaren, Spielzeug, Möbel, Heimwerker- und Elektronikartikel feil. Daß die Regionalgenossenschaften preiswert verkaufen können, verdanken sie dem Migros-Genossenschaftsbund. Die 1941 gegründete Institution unterhält eigene Metzgereien, Molkereien, Bäckereien, Obst- und Gemüseanbaubetriebe und Konservenfabriken und beliefert die Regionalgenossenschaften mit hauseigenen Produkten zu günstigen Konditionen.

In abgelegene Regionen schickt die Migros Verkaufswagen, „die Versorgung der Menschen auf dem Land zu gewährleisten“. Eine Erinnerung auch an die Gründertage, als Duttweiler selbst mit einem Lastwagen von Tür zu Tür fuhr und Reis, Zucker, Teigwaren, Kokosfett und Seife unter das Volk brachte.

„Alkohol und Tabak sind schädlich und zerstören die Familie“, hatte Duttweiler gepredigt und die Suchtmittel aus seinem Sortiment verbannt. Als Eugen Hunziker laut darüber nachdachte, ob sich Migros diese Moral heute noch leisten könne, bezog er Prügel von allen Seiten.

Das Bild der fürsorglichen Familie wollen sich die Geschäftsführer, die sich den Genossenschaftsmitgliedern alle vier Jahre zur Wahl stellen müssen, nicht nehmen lassen. Mit niedrigen Preisen, Bioprodukten und dem „Kulturprozent“, das dazu verpflichtet, jährlich 100 Millionen Franken für Sport, Kultur und Soziales auszugeben, bastelten sie am Image des ethischen und verantwortungsbewußten Unternehmens. Die Migros-Klubschule etwa, die Sprach-, Computer-, Wirtschafts- und Sportkurse anbietet, ist zur größten helvetischen Erwachsenenbildungsinstitution avanciert. Und aus der schweizerischen Kulturszene ist der Geldsegen aus dem Hause Migros nicht mehr wegzudenken. Auch die Tochterfirmen und Beteiligungen, wie die Versicherung Secura, der Reiseveranstalter Hotelplan, der Buch- und Plattenladen Ex-Libris, die Benzin- und Heizölhändlerin Migrol, die Schweizerische Reederei und Neptun AG und die Migrosbank seien Früchte des genossenschaftlichen Gedankenguts, lassen die Manager am Züricher Limmatplatz wissen. Niedrige Zinsen, preiswertes Reisen, faire Versicherungsprämien, das sei ganz im Sinne Duttweilers. Der hatte 1933 die Diversifizierung allerdings just zu dem Zeitpunkt entdeckt, als die Regierung ein Gesetz erlies, das Einzelhandelsketten verbot, weitere Filialen zu eröffnen.

Jahrelang bauten die Migros-Geschäftsführer auf die Grundlage, die Duttweiler vor Jahr und Tag legte. Mit dieser Politik schraubte Migros bisher die Firmenkennzahlen ständig nach oben. Im vergangenen Jahr erzielte die Genossenschaft mit 16 Milliarden Franken das Zehnfache des Umsatzes von 1962, dem Todesjahr Duttweilers, und wies einen Reingewinn von 337 Millionen und einem Cashflow von knapp einer Milliarde aus.

Trotzdem ist die Stimmung gereizt. Der schärfste Konkurrent, coop, ist der Nummer eins im Schweizer Einzelhandel dicht auf den Fersen. Und die ausländischen Eindringlinge „Toys 'R' us“, „Ikea“, „Jumbo“ und „Media Markt“, bringen die Fachmärkte der Migros in Bedrängnis.

So verwundert es kaum, daß die Genossenschaft ihr Glück im Ausland versucht. Die Panne in Österreich hat den Expansionsdrang nicht gebremst. Die Migros-Genf betreibt zwei Märkte in den französischen Städten Thoiry und Etrembières. Im süddeutschen Lörrach investiert die Migros-Basel in einen 5.000 Quadratmeter großen Supermarkt. Und als nächstes will sich Migros in Tirol breitmachen.