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Anklage: Raub, Mord, Vergewaltigung

■ UN-Kriegsverbrecher-Tribunal klagt Serbenführer Radovan Karadžić und den Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladić, wegen Völkermords an / Serben nehmen die Stadt Žepa ein

Den Haag/Berlin (taz) – Das UN- Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag hat den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, und den Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladić, angeklagt. Beide müssen sich wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Das Tribunal wird nun voraussichtlich sowohl der bosnischen Regierung als auch den serbischen Behörden in Pale Haftbefehle gegen beide übergeben. Falls die bosnischen Serben die Auslieferung wie erwartet verweigern, kann das Tribunal einen internationalen Fahndungsbefehl erlassen. An internationalen Verhandlungen über Bosnien könnten beide dann nicht mehr teilnehmen. Angeklagt wurden außerdem ein dritter führender serbischer Politiker, Milan Martić, sowie weitere 21 bosnische Serben.

Karadžić und Mladić hätten von der systematischen Verfolgung der Muslime und Kroaten durch Armeeangehörige gewußt, so die Anklage. Sie hätten es versäumt, einzugreifen. Zudem seien sie verantwortlich für „ungesetzliche Verhaftungen, Mord, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und die unmenschliche Behandlung von Zivilisten“. Darüber hinaus hätten die beiden serbischen Führer persönlich Exekutionen und Verfolgungen geplant, angeordnet oder dazu aufgerufen.

Die bosnischen Serben drangen gestern in die Stadt Žepa im Zentrum der gleichnamigen Schutzzone ein und zwangen einen Großteil der Zivilbevölkerung zur Flucht in die umliegenden Wälder. Das berichtete die UN-Führung unter Berufung auf eine Sonderkommission der Blauhelme, die in dem Krisengebiet die Lage überprüfte. Nach Angaben der Kommission haben die bosnischen Regierungstruppen die Stadt zusammen mit der Zivilbevölkerung verlassen. Bestätigt wurde der Fall der Stadt Žepa auch von den bosnischen Regierungstruppen. Über den Rundfunk erklärte die bosnische Armee, sie habe sich zum Schutz der Bewohner Žepas aus der Stadt zurückgezogen. Die abgezogenen Einheiten nähmen jetzt Positionen in den umliegenden Bergen ein. Ein Großteil der UN-Schutzzone Žepa befinde sich jedoch noch in den Händen der bosnischen Regierungstruppen.

Immer mehr unter Druck gerät auch die Enklave Bihać. Die aus mehreren Richtungen vorstoßenden Truppen der bosnischen und kroatischen Serben waren bereits bis zu zehn Kilometer tief in die Enklave eingedrungen. „Es wird allmählich kritisch, denn in Kürze droht die Aufspaltung der Enklave in mehrere kleine Kessel“, sagte ein UN-Sprecher. Bihać ist neben Sarajevo die größte UN-Schutzzone. In ihr leben 200.000 Menschen.

Während sich so in Žepa und Bihać zwei weitere Flüchtlingsdramen anbahnen, ist die UNO immer noch dabei, Zeugenaussagen über das Vorgehen der serbischen Truppen bei der Eroberung der UN- Schutzzone Srebrenica zusammenzutragen. Eine erste Bilanz zog der UN-Menschenrechtsbeauftragte Tadeusz Mazowiecki am Montag in Rom. Der frühere polnische Ministerpräsident sagte, er habe präzise Informationen über „schreckliche Verbrechen“ der bosnischen Serben. Diese seien bei der Eroberung der UN- Schutzzone barbarisch vorgegangen. Es sei jedoch schwierig, die Dimension der Verbrechen zu benennen. Weiterhin würden rund 7.000 ehemalige Bewohner Srebrenicas vermißt.

Eine Bestätigung der Flüchtlingsaussagen kommt nun erstmals auch von serbischer Seite. Der freie serbische Journalist Zoran Petrović, der mit den serbischen Truppen am 11. Juli nach Sebrenica kam, machte in der Stadt Filmaufnahmen. Auf den Aufnahmen, die im unabhängigen Belgrader Fernsehsender Studio B ausgestrahlt wurden, ist eine große Anzahl von Leichen auf den Straßen zu sehen. Petrović spricht von bis zu 3.000 toten Bosniern. Später seien die Toten mit Lastwagen an einen unbekannten Ort gebracht worden.

Über Exekutionen in Srebrenica durch die Serben berichteten auch niederländische Blauhelme, die während der Eroberung in Potočari stationiert waren. „Ich habe neun oder zehn Männer in Zivilkleidung gesehen, die auf dem Bauch in einem Flußbett lagen. Sie sind exekutiert worden“, sagte ein holländischer Offizier.

Ein Sprecher der UN-Flüchtlingskommission (UNHCR) in Belgrad teilte mit, daß Überlebende aus Sebrenica, die über den Grenzfluß Drina nach Serbien flüchteten, von dort zu den bosnischen Serben zurückgeschickt worden seien. Über ihr weiteres Schicksal konnte er keine Angaben machen. Zeugen aus der serbischen Stadt Loznica berichteten von in der Drina schwimmenden Leichen. Sie hätten Lastwagen voller Männer gesehen, die direkt ans Ufer der Drina gefahren seien. Als die Männer von den Lastwagen heruntersprangen, hätten bosnisch-serbische Soldaten sie erschossen. hn/ao Seite 8

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