piwik no script img

■ On the road: Geschichte in Straßennamen (4)Tiefer ist höher

Keine Zeit. Die Autos brausen von der Wilhelm-Kaisen-Brücke in schnittiger Rechtskurve Richtung Osterdeich. Oder umgekehrt. Kein Grund, nach rechts oder links zu schauen. Wer von der Brücke kommt, kriegt noch Schwung wegen des Gefälles. Tiefer? Komischer Name für eine Straße. Wie sagt man? Der Tiefer, die Tiefer? Knapper topographischer Hinweis auf eine abschüssig verlaufende Straße, bei der die Namensgeber – anno 1333 – wenig Fantasie an den Tag legten? Der Straßenzug – mit Weserblick einerseits und einem disparaten Häuserensemble andererseits – hat schon mal bessere Tage gesehen. Solche, als die wenig erfreulichen Fassadenreihe dem Betrachter nicht bloß den Blick in den Schnoor verwehrte. Doch die Harmonie der Giebelhäuser, die hier mal auf den Fluß schauten, wurde schon 1857 empfindlich gestört. Der neu entstandene Zollschuppen paßte einfach nicht in die Weser-Zeile. Denn eigentlich ist Tiefer der Flurname für ein erhöhtes Ufer, das sich bis an den Rand der Düne erstreckt, heißt es in einem verstaubten Folianten im Staatsarchiv. Und dieses Ufer umfaßte das Gebiet zwischen Lange Wieren, Wachtstraße und Weser. „Uppe der Tyvere“ hieß die Ecke in grauer Vorzeit. „Tie vara“ ist „die Fähre am Tie“. Und Monika Porschs Straßenlexikon folgert: Tie ist nichts anderes als Thing-Platz, der vorparlamentarische Versammlungs- und Gerichtsort. Doch versammeln tut sich dort schon längst keiner mehr, höchstens daß sich mal ein Tourist am Weserufer verirrt.

Alexander Musik

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen