Hungern unter freiem Himmel ist verboten

■ Nach Mahnwachenverbot am Breitscheidplatz hungern 230 Kurden im „Navca-Kurd“ / Ein Haftbefehl, eine Festnahme

Mit einem Großaufgebot an Polizei ist gestern früh die Mahnwache der KurdInnen an der Gedächtniskirche geräumt worden. Die hungerstreikenden Demonstranten zogen ins Kulturzentrum „Navca-Kurd“, wo sie ihren Protest fortsetzen wollten. Die Mahnwache, bei der etwa 200 Hungerstreikende ihre Solidarität mit dem 10.000 Kriegsgefangenen in türkischen Gefängnissen erklärten, war von der Polizei verboten worden, nachdem täglich Polizisten in Uniform und Zivil die Informationsstände nach Propagandamaterial der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK durchforstet hatten. Am Montag war es zu Auseinandersetzungen gekommen, als die Polizei die Personalien eines Kurden feststellen wollte, der das Material verteilte.

Weil die Veranstalter trotz der ersten Beschlagnahmung von Propagandamaterial der PKK und ihrer Teilorganisation ERNK am vergangenen Freitag und entsprechender Belehrungen wiederholt die verbotenen Materialien verteilt hätten, so die Polizei, hätten sie gegen das Vereinsgesetz verstoßen. Das Verbot bis zum 5. August gilt auch für jegliche Ersatzveranstaltungen unter freiem Himmel. Die Mahnwache auf dem Breitscheidplatz war bis zum 5. August genehmigt gewesen.

Nach der Auflösung gegen 6 Uhr morgens zogen die Hungerstreikenden unter Begleitung eines enormen Polizeiaufgebots zu dem deutsch-kurdischen Kulturzentrum „Navca-Kurd Berlin e.V.“ in der Zossener Straße in Kreuzberg. Während des spontanen Demonstrationszuges nahm die Polizei einen Mann fest, der bei den Auseinandersetzungen am Montag einen Polizisten verletzt haben soll. Gegen einen 18jährigen Kurden, der bereits am Montag wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruches festgenommen worden war, ist nach Angaben seines Anwaltes inzwischen Haftbefehl erlassen worden.

Bis auf weiteres haben die Hungerstreikenden, deren Zahl mittlerweile auf 230 angestiegen ist, in den Räumen von „Navca-Kurd“ ein provisorisches Quartier gefunden. Nach Angaben des Hungerstreikkomitees befinden sich zwei Teilnehmer des unbefristeten Hungerstreiks in einem „kritischen“ Zustand. Aus „Sicherheitsgründen“ hält sich nach Polizeiangaben „bis auf weiteres“ ein Polizeifahrzeug in der Nähe der Vereinsräume auf.

Das Hungerstreikkomitee sieht in der Auflösung der Mahnwache eine „Kriminalisierung der friedlichen Aktion“. Das Verbot sei eine „Provokation der Berliner Polizei“, die „zum Teil durch die Intervention der türkischen Kräfte inszeniert worden ist“. Weiterhin beschwert sich das Komitee über die Beschlagnahmung aller Gegenstände vom Breitscheidplatz, „vom Zelt bis zu den Teegläsern“. Nach Angaben der Polizei wurden die Gegenstände „zur Eigentumssicherung“ in die Polizeiunterkunft Ruhleben gebracht, weil sich nach dem Abbau der Zelte kein Verantwortlicher mehr auf dem Platz befunden habe. Barbara Bollwahn