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Van Nispens Wort ist ungültig

■ Halim B. soll ohne rechtskräftiges Verfahren abgeschoben werden

Halim B., der junge Kurde, der am 17. Februar versuchte, sich in der Abschiebehaft Ostertorwache das Leben zu nehmen, soll entgegen einer schriftlichen Weisung des ehemaligen Innensenators van Nispen abgeschoben werden.

Nachdem sich im Februar breiter öffentlicher Protest gegen die geplante Abschiebung formiert hatte, und sogar die damalige Senatorin für Ausländerintegration und die jetzige Senatorin für Soziales, Tine Wischer, eingeschritten waren, hatte van Nispen im März versprochen, den 17jährigen Kurden nicht vor Abschluß eines rechtsstaatlichen Verfahrens auszuweisen, welches klarstellen soll, ob Halim B. wirklich als Drogenhändler tätig geworden war.

Halim B. hat das stets bestritten. So ist er auch niemals beim Handel erwischt worden, niemand hat je bei ihm Rauschgift gefunden. Der Vorwurf, gedealt zu haben, ist lediglich Folge einer Zeugenaussage: Ein Mann behauptet, Halim B. habe ihm ein Gramm Heroin angeboten. Aufgrund dieser Aussage sollte im Februar die sofortige Abschiebung erfolgen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch der Abschiebestopp für KurdInnen galt.

Der aber ist am 12. Juni abgelaufen. Prompt erhielt Hans-Eberhard Schultz, der Anwalt des Kurden, einen Brief der Ausländerbehörde. Darin wurde er aufgefordert, seinem Mandanten beiliegende Grenzübertrittsbescheinigung auszuhändigen: „Sollte Ihr Mandant bis zum Ablauf des in der Grenzübertrittsbescheinigung aufgeführten Ausreisedatums (30.6., die Red.) nicht ausreisen, werden wir seine Abschiebung einleiten.“

Die konnte bislang noch verhindert werden. Nicht zuletzt, weil Halim B. noch immer als latent suizidgefährdet gilt, zitiert sein Anwalt das Ergebnis der letzten sozialpsychiatrischen Untersuchung seines Mandanten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der mittlerweile 18jährige einen erneuten Selbstmordversuch unternehme.

Die Ausländerbehörde, teilte das Innenressort mit, werde demnächst eine neuerliche Untersuchung durchführen lassen. „Davon hängt alles ab“, sagt Rechtsanwalt Schultz, denn ansonsten sind alle rechtlichen Möglichkeiten des Asylverfahrens ausgeschöpft. Ein Asylverfahren, dessen Ablehnung auch im letzten Urteil des Verwaltungsgerichtes vom 19.7. mit dem Drogenverdacht begründet wird: „Auf Gesichtspunkte einer Gruppenverfolgung kann sich der Antragsteller nicht berufen, weil die 2. Asylkammer ... festgestellt hat, daß der Antragsteller nach ihrer Überzeugung in den Drogenhandel verstrickt ist und damit eine solche auf Gruppenverfolgung stützende Regelvermutung jedenfalls in seiner Person als widerlegt anzusehen ist.“

Der bloße Verdacht reicht, hatte der Leiter der Abschiebegruppe Uwe Papencord schon im Februar das Ausländergesetz zitiert. Daß es kein rechtsstaatliches Urteil, geschweige denn ein Verfahren gegeben hat, in dem Halim B. die Chance gehabt hätte, seine Unschuld zu beweisen, interessiert die Ausländerbehörde folglich nicht. Die Weisung des ehemaligen Innensenators, teilte Innenressort-Sprecherin Merve Pagenhardt der taz mit, sei lediglich für die Zeit des Abschiebestopps gültig gewesen.

Nur solange Selbstmordgefahr besteht, darf Halim B. in Deutschland bleiben. Wird er abgeschoben, hat der 18jährige kein Obdach, kein Geld, keine Verwandten. Sein ehemaliger Wohnort wurde vermutlich von türkischen Regierungstruppen dem Erdboden gleichgemacht.

dah

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