: Keine Fata Morgana
Nach 27 Monaten Zwangspause gelang Monica Seles in Atlantic City ein großartiges Comeback ■ Von Matti Lieske
Ziemlich mulmig wird einigen Top-Tennisspielerinnen vor dem Fernsehschirm geworden sein, als sie dem Comeback von Monica Seles in Atlantic City gegen Martina Navratilova zuschauten. Zwar hatten alle stets betont, wie sehr sie eine Rückkehr der vor 27 Monaten in Hamburg niedergestochenen Ex-Jugoslawin begrüßen würden, und wie wichtig diese für das Frauentennis wäre, doch ihre Hoffnung, daß sie vielleicht ein klein wenig schlechter spielen möge als zuvor, konnte kaum eine verhehlen. Schließlich hatten selbst Cracks wie John McEnroe oder Mats Wilander nach wesentlich kürzeren Pausen nie mehr zur alten Dominanz zurückgefunden. Der hartnäckige Widerstand einiger Konkurrentinnen gegen das Vorhaben, Seles als Co-Nummer eins der Weltrangliste zu setzen und ihr so die Rückkehr zu erleichtern sprach Bände: Soll sie doch erst mal zeigen, was sie noch kann.
Das tat sie gegen die 38jährige Navratilova eindrucksvoller als erwartet. „Ich bin so aufgeregt, ich hoffe, ich kann den Schläger halten“, hatte sie vor dem Match gesagt, doch als sie dann, von 5.000 Zuschauerinnen und Zuschauern mit Ovationen begrüßt, auf dem Platz stand, war von Nervosität kaum etwas zu spüren. Nur die Aufschläge im ersten Spiel – sie begann mit einem Doppelfehler – und die Matchbälle gerieten etwas wacklig. Ansonsten spielte sie wie in alten Tagen. Knallhart die treibenden Grundschläge, exakt plaziert die Passierbälle, stets der richtige Schlag, selbst aus ungünstigster Position, und im gesamten Match eine Fehlerquote, wie sie die meisten Top-20-Spielerinnen schon in einem Spiel erreichen. „Der ist zu gut“, rief eine keineswegs schlechte Martina Navratilova ein ums andere Mal, wenn sie dem Ball nur hinterherschauen konnte. „Monica hat phantastisch gespielt. Ihre Passierbälle waren keine Fata Morgana.“
Die 21jährige Seles, etwas fülliger geworden und noch um drei Zentimeter auf 1,80 Meter gewachsen, schien fest entschlossen, ihre immer wieder geäußerte Behauptung zu unterstreichen, daß sie vor allem zurückkehre, um Spaß zu haben. Auch wenn manches Lachen etwas gezwungen wirkte, schien sie ohne Angst und mit viel Vergnügen auf dem Platz zu stehen. Nach dem souveränen 6:3, 6:2-Sieg begab sie sich sogar furchtlos in die Menge, um Autogramme zu schreiben.
Dabei hatte gerade die Abneigung gegen größere Menschenansammlungen ihr Comeback so lange hinausgezögert. Schon der physische Heilungsprozeß nach dem Attentat vom 30. April 1993 hatte sich lange hingezogen, als sie dann Anfang 1994 bei den Australian Open wieder einsteigen wollte, machte ihr die Psyche einen Strich durch die Rechung. „Es sind einige emotionale Dinge von der Messerattacke zurückgeblieben“, erklärte ihre Agentin. Durch Therapien und in Selbsthilfegruppen mit anderen Opfern von Messerangriffen versuchte sie sich von dem Trauma zu befreien, äußere Dinge warfen sie jedoch nach eigener Aussage immer wieder zurück. So etwa das Eisenstangen-Attentat auf die Eiskunstläufern Nancy Kerrigan, das Bewährungsurteil gegen den wenig reumütigen Attentäter von Hamburg, das schnelle Abspringen einiger Sponsoren und das kühl professionelle Verhalten der Kolleginnen.
Gegen die International Management Group (IMG), welche die geschäftlichen Interessen von Monica Seles und die der WTA- Tour vertritt, sind jedoch auch die Spielerinnen machtlos. Für die nächsten sechs Turniere wird die Rückkehrerin als zweite Nummer eins neben Steffi Graf gesetzt, und es war kein Zufall, daß sich Seles nach dem Match von Atlantic City sogleich per Küßchen bei IMG- Boß Mark McCormack bedankte.
Mit dem ersten Auftritt in einer Tennisarena seit 27 Monaten scheint der körperliche und seelische Heilungsprozeß von Monica Seles, die seit letztem Jahr US- Bürgerin ist, endgültig abgeschlossen. „Er hat mich zweieinhalb Jahre gekostet, aber jetzt ist er Vergangenheit“, sagt sie über den Attentäter und denkt lieber an ihre Zukunft, die einigermaßen rosig aussieht. Am Freitag unterschrieb sie einen Multimillionendollar- Vertrag mit dem Sportartikelhersteller Nike, für das Masters-Turnier im November erhält sie eine spezielle Wildcard, im Federation- Cup-Finale gegen Spanien wird sie möglicherweise für die USA spielen, ebenso bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta.
Und nach dem starken Auftritt gegen Martina Navratilova gibt es kaum Zweifel, daß auch ein anderer ihrer Wünsche bald in Erfüllung geht: „Ich möchte nicht für mein Stöhnen, mein dummes Kichern oder dafür, daß ich niedergestochen wurde, berühmt sein. Ich möchte für die Qualität meines Spieles berühmt sein.“
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