piwik no script img

Hürdenlauf bis zum Gastgeber in Deutschland

■ Nur auf Grundlage einer „Verpflichtungserklärung“ von Verwandten, Bekannten oder Verbänden können bosnische Flüchtlinge legal nach Deutschland einreisen

Stellen Sie sich vor, Ihr ehemaliger bosnischer Arbeitskollege Ibrahim O., den Sie nach seiner Rückkehr in die Heimat vor fünf Jahren aus den Augen verloren haben, meldet sich überraschend am Telefon. Er bittet Sie, seine Familie bei der Flucht aus Bosnien zu unterstützen, ohne Ihre Hilfe hätte er keine Möglichkeit, ein Visum für Deutschland zu erhalten. Kurze Überlegung: Sie haben ein großes Haus, sind auch nicht gerade arm ... Ihre Hilfsbereitschaft ist geweckt.

Wie gehen Sie jetzt vor? Sie wenden sich an Ihre örtliche Ausländerbehörde, um eine „Kostenübernahmeerklärung“ für Ibrahim O. und seine Familie abzugeben. Die Ausländerbehörde bittet Sie, ein Formular über Ihre finanziellen Verhältnisse auszufüllen. Angesichts Ihres relativen Wohlstandes hat die Behörde keine Bedenken und erteilt ihre Zustimmung zur Einreise der Familie O.

Eingehender dürfte die Prüfung verlaufen, wenn der Antrag – wie in der Regel – von bereits hier lebenden Bosniern für Angehörige oder Freunde gestellt wird. Wie intensiv die Ausländerbehörden prüfen, ist freilich von Stadt zu Stadt verschieden. Bislang sind über 40.000 von den geschätzten 350.000 muslimischen und kroatischen Kriegsflüchtlingen aus Bosnien auf der Grundlage einer „Verpflichtungserklärung“ von Bekannten, Verwandten, Wohlfahrtsorganisationen oder Kirchen in die Bundesrepublik gekommen. Im Moment ist das für sie fast die einzige Möglichkeit, legal nach Deutschland einzureisen.

Wenn die Ausländerbehörden ihre Zustimmung erteilt haben, wird eine „Vorabzustimmung“ an die deutsche Botschaft im kroatischen Zagreb weitergeleitet. Dort muß der bosnische Flüchtling außerdem seinen Paß und einen Antrag auf Erteilung eines Visums einreichen. Ein Rechtsanspruch auf eine Einreisegenehmigung besteht allerdings nicht, die Botschaft entscheidet nach Ermessen.

Viele der zur Flucht gezwungenen Bosnier sind zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht in Kroatien, sondern harren in Bosnien- Herzegowina aus. Denn erst wenn die „Vorabzustimmung“ eines westeuropäischen Staates vorliegt, erhalten sie ein Transitvisum für Kroatien. Gute Verbindungen und ausreichend Geld sind Voraussetzung, um die notwendigen Kontakte nach Deutschland und Kroatien herzustellen. Im Mai hat sich die Situation der ausreisebereiten Bosnier nochmals verschlechtert. Seit die kroatische Armee die UN- Schutzzone an der Grenze zu Bosnien erobert hat, können nur noch wenige diese einst wichtigste Route nehmen, die seit 1992 rund 52.000 Flüchtlinge passiert haben. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingskommissariats wählten im Januar noch 1.386 Menschen den Weg über die UN-Zone – im Mai kam hier keiner mehr durch.

Eine wichtige Funktion hat angesichts dieser fast unüberwindlichen praktischen Probleme der Verein „Den Krieg überleben“ übernommen. Der österreichische Journalist und Vereinsgründer Martin Fischer sucht Gastgeber in der Bundesrepublik, koordiniert vor Ort den Schriftverkehr der Bosnier mit den deutschen Behörden und organisiert die Flüchtlingskonvois nach Deutschland. Seit 1992 hat der kleine Verein rund 6.900 Bosniern die Flucht nach Deutschland, Schweden und in die USA ermöglicht. Bis vor kurzem reichte es der deutschen Botschaft aus, wenn Fischer stellvertretend für die Flüchtlinge die Papiere vorlegte. „Seit wenigen Tagen wird jedoch die persönliche Anwesenheit der Antragsteller verlangt“, beschwert sich Fischer. Die Botschaft wollte dazu keine Stellung nehmen.

Ein zusätzliches Problem für viele BosnierInnen: Sie besitzen keinen Paß des jungen bosnischen Staates. Insbesondere Männer im „wehrfähigen“ Alter können nicht mit der Ausstellung von Reisedokumenten durch die bosnischen Behörden rechnen. Teilweise akzeptiert die deutsche Botschaft bei der Visaerteilung aber noch alte jugoslawische Pässe.

In den Wirren der ersten Kriegsjahre hatten sich viele Bosnier kroatische Pässe besorgt, um nach Deutschland einzureisen, denn die Kroaten brauchten keine Visa. Das könnte den betroffenen Bosniern jetzt zum Verhängnis werden: Noch in diesem Jahr droht den bis zu 60.000 Bosniern mit kroatischen Pässen die Abschiebung aus der Bundesrepublik. Denn die Inhaber kroatischer Pässe sollen bis zum 15. September dieses Jahres abgeschoben werden. Was mit diesen Bosniern in Kroatien geschieht, ist ungewiß. Es sind Fälle bekannt, in denen bosnische Rückkehrer gegen ihren Willen von den kroatischen Behörden an die bosnische Armee übergeben wurden. Ole Schulz

Verein „Den Krieg Überleben“, Römerstr. 213, 53117 Bonn; Tel.: 0228-687055; Fax: 687723

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen