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Gefangene der Korruption

Deutsche Firmen zahlen jährlich 500 Millionen, um an Aufträge zu kommen / „Inseln der Integrität“ als erster Schritt gegen die Korruption  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Mit der Korruption verhält es sich wie bei dem berühmten Gefangenendilemma. Da sitzen zwei nach einem Coup gefaßte Komplizen getrennt voneinander im Knast. Schweigen beide, ist ihnen nichts nachzuweisen und sie kommen frei. Aber da einer nicht weiß, was der andere tut, ist die Versuchung groß, daß einer aussagt. Denn ihm winkt dann Strafminderung, während den Aussageverweigerer die Strafe umso härter trifft. Um das zu vermeiden, werden sogar wahrscheinlich beide singen.

Wenn kein Unternehmen Bestechungsgelder zahlen würde, dann würden davon ebenfalls alle profitieren – von den korrupten Empfängern abgesehen. Aber was passiert, wenn, sagen wir, Brasilien einen Auftrag für ein neues Kraftwerk ausschreibt? Dann wird Siemens befürchten, daß die Konkurrenten General Electric, ABB und so manche andere die zuständigen Beamten schmieren, und die Mitbewerber werden umgekehrt dasselbe von Siemens glauben. Um überhaupt eine Chance zu haben, den Auftrag zu ergattern, werden daher alle drei sicherheitshalber den Auftraggebern großzügige Geschenke zukommen lassen.

Und weil das sogar der Bundesfinanzminister als unumgängliche Notwendigkeit erkennt, darf Siemens die gezahlten Schmiergelder anschließend von der Steuer absetzen. Es geht schließlich um die Jobs in der heimischen Industrie, und die Leute in den Entwicklungsländern wollen es angeblich gar nicht anders. Im künftigen Jahressteuergesetz soll zwar die steuerliche Abzugsfähigkeit gestrichen werden – aber wohl nur bei Bestechung im Inland.

Um Export- und Bauaufträge aus dem Ausland zu bekommen, zahlen deutsche Unternehmen alljährlich 500 bis 600 Millionen Mark an Bestechungsgeldern, schätzt die US-Zeitschrift Newsweek. Strafrechtlich verfolgt wird das nicht.

So beschuldigt die Madrider Tageszeitung El Mundo Siemens, das spanische Innenministerium innerhalb von drei Jahren mit 6 Millionen Mark geschmiert zu haben, um Spaniens Flughäfen mit Geräten zur Gepäckdurchleuchtung ausstatten zu dürfen.

Ein hohes Tier im britischen Verteidigungsministerium fuhr ins Gefängnis ein, weil er umgerechnet mindestens 3,6 Millionen Mark kassiert hatte; auch die deutsche Rüstungsfirma Junghans zahlte, weil sie etwas von den Aufträgen für Zünder, Raketen und Munition abbekommen wollte. Howaldtswerke Deutsche Werft hatten, um für 650 Millionen Dollar U-Boote im Iran absetzen zu können, seinerzeit dem Schah 70 Millionen Dollar aus dem vorab gezahlten Kaufpreis zurücküberwiesen. Die U-Boote wurden nie geliefert, der Iran will jetzt den Kaufpreis zurück.

Geschwürartig zersetzt die Korruption öffentliche Verwaltungen. „Korruption ist auch der Feind des Fortschritts. Korrupte Staatsoberhäupter halten an ihrer Macht fest, widersetzen sich Bemühungen um mehr Transparenz im öffentlichen Sektor, beschneiden persönliche Freiheiten und mißbrauchen fundamentale Menschenrechte“, schreibt die Organisation „Transparency International“, die sich der weltweiten Korruptionsbekämpfung verschrieben hat. Moussa Traoré etwa, der inzwischen abgesetzte Ex-Diktator von Mali, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, zählte seinerseits zu den reichsten Männern der Welt.

Die Unternehmen lassen sich die Mehrkosten für Bestechungen an anderer Stelle erstatten. Da werden öffentliche Bauprojekte viel teurer als nötig, weil auch noch dem zuständigen Beamten eine Villa gebaut oder ein Nummernkonto in der Schweiz gefüllt wird. Zahlen muß der Steuerzahler. Die Verschuldung der sogenannten Dritten Welt wäre deutlich geringer, wenn nicht ständig überhöhte Preise gezahlt und überflüssige Projekte finanziert würden. Auch breite Ströme von Entwicklungshilfegeldern fließen in private Schatullen.

Selbst die Umwelt leidet unter der Korruption, wenn Projekte durchgeführt werden, die nie eine Chance auf Genehmigung gehabt hätten, wenn nicht vorher geschmiert worden wäre. In Kenia, so berichtet der Vorsitzende von Transparency International, der ehemalige Weltbankdirektor Peter Eigen, sei beispielsweise eine Pipeline gebaut worden, die aus einem geschützten Gebiet Wasser zur Bewässerung an die Küste transportiert – die Baufirmen reichten nicht nur Geldscheine unter dem Tisch durch, sie legten auch gleich die fertige Umweltverträglichkeitsstudie auf den Tisch.

„Wenn wir's nicht tun, wird es ein anderer tun“, heißt die übliche – und durchaus zutreffende – Rechtfertigung der Schmiergeldzahler. Also, was muß geschehen? Die Schmiergeldempfänger zu ermahnen, doch nicht so korrupt zu sein und sich in „good governance“ – so ein derzeitiges Schlagwort bei der Vergabe von Entwicklungshilfe – zu üben, ist verbale Vernebelung. Denn just aus den Ländern, die die Entwicklungsländer solcherart belehren, stammt das Schmiergeld.

Die USA haben 1977 ihren Unternehmen Bestechung, auch im Ausland, schlicht verboten. Weniger aus moralischer Überzeugung als vielmehr aus der Einsicht, daß die internationale Korruption ins eigene Land zurückschwappt, etwa seinerzeit in die Parteikassen von Präsident Nixon. Das Verbot hilft nicht immer: Viele US-Firmen zahlen lieber Schmiergelder, um einen Auftrag zu bekommen und die Bußgelder gleich hinterher. Lockheed gab beispielsweise erst eine Million US-Dollar Bestechungsgelder aus, um Kampfflugzeuge an Ägypten liefern zu dürfen und dann 24,8 Millionen Dollar für die Geldstrafe; der erwartete Umsatz aber lag bei 79 Millionen Dollar. Natürlich fühlen sich US-Unternehmen benachteiligt, wenn Firmen aus anderen Ländern ungestraft bestechen dürfen. Die Regierung drängt daher auf eine internationale Lösung.

Die bahnt sich in groben Umrissen an. Bislang haben sich viele Industrieländer, insbesondere die Bundesrepublik, gegen jegliche Behinderung der Korruption gewehrt. Doch „die Korruption steht ihnen bis zum Hals“, meint Transparency-Vorsitzender Eigen. „Das bemerken zur Zeit auch die deutschen Politiker“, und dies könne einen wichtigen Umbruch einleiten, so Eigen.

Der Club der Industrieländer, die OECD, hat vor gut einem Jahr eine einschlägige Empfehlung beschlossen. Alle Mitgliedsländer werden aufgefordert, Bestechung im In- wie auch Ausland durch Gesetzesänderungen illegal zu machen. OECD-Beschlüsse sind zwar nicht bindend, doch Peter Eigen ist optimistisch, daß die OECD ihre noch vagen Vorgaben ausformuliert und dann der Druck auf die Mitgliedsstaaten wächst, diese auch umzusetzen.

Zentral für den Kampf gegen die Korruption ist es, alle Wettbewerber zu umfassen. Daher hat Transparency International ein eigenes Modell entwickelt, das den Ausstieg aus dem Gefangenendilemma ermöglichen soll: sogenannte „Inseln der Integrität“. Diese Inseln sind begrenzte Märkte, wo die Zahl der Wettbewerber überschaubar ist und daher alle in einer Absprache einbezogen werden können.

Als die ecuadorianische Regierung etwa den Bau einer Ölraffinerie ausschrieb, mußten sich alle Anbieter vorab durch ihre Unterschrift zum Verzicht auf jegliche Bestechung verpflichten. Dieser Pakt wird Teil der Ausschreibungsunterlagen.

Eine Überprüfung ist vergleichsweise leicht, denn jede Firma wird ihre Konkurrenten mit Argusaugen belauern, ob die sich an die Spielregeln halten. Sogar eine Sanktionsmöglichkeit gibt es bei Zuwiderhandlung: Dann wird die von den Firmen üblicherweise hinterlegte Angebotssicherheit in Höhe von zwei bis drei Prozent der Auftragssumme einbehalten.

Doch solche Inseln können nur begrenzte Wirkung haben, das weiß auch Peter Eigen. Die ideale Organisation, Anti-Korruptions- Regeln durchsetzen, ist für ihn die Welthandelsorganisation (WTO), weil darin wirklich alle Märkte erfaßt sind. Die hat allerdings bislang nicht zu erkennen gegeben, sich hier zu engagieren.

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