: Ein Mann tut sich Tennis an
Torsten Purschke hat ein Ziel: Der Weltranglisteneinundzwanzigste in der jungen Sportart Rollstuhltennis will zu den Paralympics nach Atlanta ■ Von Angelika Tannhof
„Sind die auch wirklich gut“, fragt Torsten Purschke, als die Turnierleitung der Internationalen Württembergischen Tennismeisterschaften ihn für ein gemischtes Doppel mit „Fußgängern“ gewinnen will. Immerhin: Der Rollstuhltennisprofi ist 21. der Weltrangliste, in der insgesamt vierhundert Spieler geführt werden. Er ist Zweiter der deutschen Rangliste (hinter Stefan Bitterauf) und mit Partner Ralph Weisang amtierender deutscher Meister im Doppel.
Wie so oft muß Torsten Purschke (28) auch bei diesem Schaukampf in Esslingen erleben, daß „Fußgänger“ den „Rollis“ weniger zutrauen und unwillkürlich sanfter aufschlagen, einfachere Bälle spielen. Dabei ist der Radius eines Rollstuhltennisspielers, das hat Purschke eindrucksvoll bewiesen, auch im schnellen, flachen Spiel von der Grundlinie sehr groß. „Nur bei den ganz kurzen Bällen wird es schwierig“, schränkt er ein. „Wir spielen daher untereinander vor allem von der Grundlinie aus.“
Aufmerksam verfolgt er die Bewegungen seines Gegenübers und setzt mit kräftigen Armbewegungen seinen Spezial-Sportrollstuhl in Gang. Obwohl beim Rollstuhltennis – als einziger Unterschied zum „normalen“ Tennis – die gelbe Filzkugel zweimal aufspringen darf, muß Purschke in kurzer Zeit große Entfernungen überwinden. Und „auf Mann“ wird hier keineswegs gespielt. „Das Spielniveau ist sehr hoch, und die Tendenz geht dahin, den Ball schon nach der ersten Bodenberührung zu nehmen“, sagt Purschke. Aber viel mehr als bei den Fußgängern entscheidet die Bodenart über Wendigkeit und Spieltempo.
Daß er es als Rollstuhl fahrender Leistungssportler einmal womöglich bis zu den Paralympics 1996 in Atlanta bringen könnte, hätte sich Torsten Purschke eigentlich nicht träumen lassen. Nach einem Autounfall, dessen Folgen den begeisterten Fußballer in den Rollstuhl zwangen, hat der Dreizehnjährige zwar Basketball gespielt, aber sich damals gedacht: „Tennis – das laß lieber.“ Sich „von jemandem über den Platz jagen zu lassen“, so Purschkes damalige Einstellung, „nein, das tue ich mir nicht an.“
Und dann tat er es doch. Traf zufällig in seinem Heimatort Waibstadt bei Heidelberg auf andere Rollis, die auf Hartplätzen das Racket schwangen, nahm Unterricht und entpuppte sich als Talent. Mittlerweile trainiert er sechsmal die Woche. Seine Muskulatur kräftigt Purschke unter anderem beim Schwimmen und mit einem Rollstuhlfahrrad, genannt „Rolli- Bike“.
Die optimal trainierte Oberkörpermuskulatur sorgt für die Schlagfertigkeit und ist gleichzeitig Kraftquelle für die Bedienung des Rollstuhls. „Beinarbeit ist das Wichtigste“, meint Torsten Purschke. Der Sportrollstuhl tut das übrige dazu, hat eine tiefe Sitzposition, Reifen mit einem Luftdruck von zehn atü, in einem spitzen Winkel montierte Räder und fürs schnelle Manövrieren ein kleines Einrad vorne.
Jetzt heißt es für den Rollstuhltennisprofi aus Waibstadt: trainieren, trainieren, siegen. Im Juli ist er in die Saison eingestiegen. Fünfzehn Turniere stehen an, die ähnlich wie bei der ATP-Tour Plazierungspunkte einbringen und damit entscheiden: Atlanta ja oder Atlanta nein.
„Höhepunkt ist immer das größte Rollstuhltennisturnier, die US Open in Los Angeles“, erzählt Purschke. Nicht zufällig: Von 15.000 Rollis sind 12.000 Amerikaner, dort ist der Rollstuhlsport entstanden, dort, empfindet Purschke, genieße er auch wesentlich mehr Anerkennung als in Europa.
Doch bei aller Internationalität und allem sportlichen Niveau – ein Rollstuhltennisprofi verdient nicht den Bruchteil eines gehenden Kollegen. Mit seinem Platz 21 der Weltrangliste könnte Torsten Purschke im „Fußgängertennis“ recht gut leben. Rollis haben mit 2.000 Dollar Preisgeld meist die absolute Obergrenze erreicht.
Davon müssen sie noch ihre Aufwendungen finanzieren. Sponsoren sind, wenn überhaupt, meist nur unter den Rollstuhlherstellern zu gewinnen. Doch decken deren Zuschüsse auch nur einen Teil der Kosten. So könnte sich Torsten Purschke diesen Sport ohne seinen Halbtagsjob als Kommunikationselektroniker nicht leisten. „Eine Saison kostet mich mit Fahrten, Flügen und sonstigen Aufwendungen rund 15.000 Mark“, sagt Purschke. Privatleben kennt er kaum. Alle Energie gilt einem Ziel: die Paralympics in Atlanta 1996.
Und nach neun gespielten Turnieren sieht es prima aus: In Furuoka war er im Achtelfinale, in Venlo gar im Finale. Nun geht es nach Gstaad, und Purschke ist guter Dinge: „Mit der derzeitigen Punktzahl“, sagt er, „habe ich beste Chancen.“
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