■ Spanien: Felipe González, die GAL und viel Heuchelei
: Alle gegen die ETA

Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ist kurz davor, die Hintermänner des schmutzigen Krieges gegen die baskische Separatistengruppe ETA dingfest zu machen. Der Oberste Gerichtshof prüft, ob er eine Klage wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung gegen Regierungspräsident Felipe González, Ex-Verteidigungsminister Narcis Serra, Ex-Innenminister José Barrionuevo und den ehemaligen Generalsekretär der sozialistischen Regierungspartei PSOE, Txiki Benegas, zulassen wird. Felipe González beschwört weiterhin seine Unschuld und – wichtiger noch – „die Einheit der Demokraten im Kampf gegen den Terrorismus“. Die jetzige Debatte würde der ETA die Rechtfertigung für neue Anschläge liefern, warnte González letzte Woche. Nur das Zusammenstehen aller demokratischen Kräfte habe die bisherigen Fahndungserfolge gegen die ETA möglich gemacht. Wer etwas in die Geschichte zurückgeht, versteht, wovon González spricht.

Als 1988 dank der unermüdlichen Recherchen einiger weniger Journalisten die zwei Ex-Polizisten José Amedo und Michel Dominguez wegen Mitgliedschaft in den staatlichen „Antiterroristischen Terrorgruppen“ (GAL) – auf deren Konto 28 Morde gehen – vor Gericht gestellt wurden, verhielt sich die Opposition ganz anders als heute. Weder die Alianza Popular (AP) – Vorgängerin der heutigen größten Oppositionskraft, der konservativen Partido Popular (PP) von José Maria Aznar – noch die kommunistische „Vereinigte Linke“ (IU) wollten sich klar äußern. In einer Zeit, in der fast kein Tag ohne einen Anschlag verging, war der Kampf gegen die ETA mit allen nur erdenklichen Mitteln allgemein akzeptiertes Staatsziel. Großteile der Bevölkerung außerhalb des Baskenlandes beklatschten offen den schmutzigen Krieg.

González verstand die Zeichen der Zeit. Zum Thema GAL wisse er auch nicht mehr, als in der Presse zu lesen war, lies er Richter Garzón damals wie heute wissen. Amedo und Dominguez wurden ihr Schweigen und die 108jährige Haftstrafe mit kräftigen Geldzuwendungen und öffentlichen Spekulationen über eine mögliche Begnadigung schmackhaft gemacht. Das Innenministerium boykottierte unter Berufung auf Geheimnisschutz die Arbeit der Gerichte. Wer den Prozeßverlauf hinterfragte und, wie die Anwälte der GAL-Opfer, immer wieder auf der Verantwortung der Regierung bestand, wurde als Terroristenfreund beschimpft und von der vielbeschworenen „Einheit der Demokraten“ ausgeschlossen.

Einzig die katalanischen und baskischen Nationalisten scheinen sich heute noch an das politische Klima der achtziger Jahre erinnern zu können. Bezugnehmend auf den ehemaligen Vorsitzenden der Sozialisten in der Baskenprovinz, Vizkaya Ricardo Garcia Damborenea, dessen Geständnis zu den Ermittlungen gegen González und seine Mannschaft führte, erklärte der Sprecher der katalanischen CiU, Joaquin Molins, letzte Woche vor dem Parlament: „Wir haben ihm nie vertraut.“ Nicht so die anderen Parteien. Dafür führte Molins Beweise an: Nach dem Parteiausschluß aufgrund interner Streitigkeiten 1990 bot die Vereinigte Linke Damborenea das Parteibuch an. Der lehnte ab und trat vier Jahre später zusammen mit PP-Chef José Maria Aznar im Europawahlkampf auf.

Mit wem man sich da schmücken wollte, mußte den beiden großen Oppositionsparteien klar sein. „Dambo, der Sheriff aus dem Baskenland“, wie ihn die Presse nannte, hatte aus seinen Sympathien zur gnadenlosen Law-and- order-Politik nie ein Hehl gemacht. So beglückwünschte er bei einem Vortrag in der Polizeiakademie 1985 die Sicherheitskräfte zu ihrer hervorragenden Arbeit im Kampf gegen die ETA: „Ich möchte allerdings nicht enden, ohne die GAL zu erwähnen. Wir können nicht außer acht lassen, daß sie – wenn auch auf kriminelle Art – erheblich zur Schwächung des Terrorismus beigetragen hat.“ Was man in Madrid überhörte, wurde im Baskenland mit Wandmalereien „PSOE = GAL“ gedankt.

Spaniens junge Demokratie hat dazugelernt, könnte man wohlmeinend denken, da heute, zwölf Jahre nach dem ersten GAL-Opfer, alle von Rechtsstaat und demokratischer Moral sprechen. Die ständigen Rufe gegen vorzeitige Haftentlassung von ETA-Häftlingen seitens der PP und nach hartem Vorgehen gegen die meist jugendlichen Barrikadenbauer im Baskenland seitens IU beweisen jedoch das Gegenteil. Von einer politischen Lösung des Baskenkonflikts, wie in Nordirland vorgeführt, wollen weder Regierung noch Opposition etwas wissen.

Die Empörung im Falle GAL seitens der Opposition hat einen ganz einfachen Grund. Trotz der Serie von Korruptionsskandalen wollten die Sozialisten einfach nicht gehen. Spaniens Rechte wiederum hatte dank 40 Jahren Franco-Diktatur einen zu schlechten Ruf, um Begeisterungsstürme bei den Wählern auszulösen. Ein Regierungswechsel schien also nicht möglich. Der Fall GAL kam da der PP mehr als recht. Doch eines scheint man bei der politischen Ausschlachtung des Skandals vergessen zu haben: Ein solch drastischer Bruch der „Einheit der Demokraten“ wird schnell zum Selbstläufer. Schon jetzt lassen sich die Folgen für die den spanischen Rechten so heiligen Institutionen wie das Militär und die Guardia Civil nicht mehr abschätzen.

„In einer reifen Demokratie hätte es all das nicht gegeben“, ist sich der ehemalige Verteidigungsminister Narcis Serra sicher. Wenn er da mal nicht irrt. An Regierungswechsel gewöhnt, fanden sich in anderen Ländern weder Richter noch starke Oppositionsparteien, ja, oft nicht einmal die Presse, um die schmutzigen Flecken auf der demokratischen Weste zu untersuchen. Bespiele für diese „Einheit der Demokraten“ gibt es genug. Die Nacht von Stammheim ist bis heute ungeklärt, das Celler Loch klafft noch immer in der bundesdeutschen Justizgeschichte, und um Bad Kleinen streiten sich die Gutachter. Der Film „Im Namen des Vaters“ bietet einen Einblick in die älteste Demokratie, in Großbritannien. Wo man mit Prozessen nicht weiter kam, gaben auch die Briten gezielte Todesschüsse ab. Die Militärs, die drei wehrlose IRA-Mitglieder in Gibraltar erschossen, sind dank eines speziellen Amnestiegesetzes auf freiem Fuß. Auch Frankreich steht dem in nichts nach. War da nicht auch von der Beteiligung französischer Legionäre und Polizisten bei den GAL die Rede? Und dieser Tage jährte sich zum zehnten Mal der Anschlag gegen das Greenpeace- Schiff „Rainbow Warrior“, bei dem ein Besatzungsmitglied ums Leben kam. Brigadegeneral Jean- Claude Lesquer, an dem Attentat beteiligt, wurde im Februar befördert. Der Juniorpartner von Felipe González, Jordi Pujol, machte vor kurzem deutlich, daß er sich ein ähnliches Vorgehen in Spanien gewünscht hätte: „Als die Führer der Baader-Meinhof-Bande starben, rief Kanzler Schmidt die Zeitungsverleger zusammen, um ihnen zu erklären, daß die Stabilität Deutschlands davon abhänge, wie sie das Thema behandelten.“ Reiner Wandler, Madrid