: Rebellen in der Glotze
■ Der Musiksender MTV suchte in Berlin, der "Hauptstadt der Rebellion", nach jungen Wilden / Autonome Projekte lehnten Aufnahmen für Sondersendung ab
MTV geht in den Berliner Untergrund: Für die halbstündige Sondersendung „Reject – Resist – Rebel!“, die am 21. August europaweit ausgestrahlt wird, hat der amerikanische Musiksender vor allem in Berlin gedreht, der „heimlichen Hauptstadt der Rebellion“. Dazu wurde die Stadt zumindest in dem MTV- Fax stilisiert, das vor wenigen Wochen viele linke Projekte in Berlin erhalten haben. Junge Leute, die sich politisch engagieren, wollte MTV vor die Kamera bekommen – doch viele linke Projekte zeigten dem US-Fernsehsender die kalte Schulter.
„Was wir zeigen wollen, ist, daß die sogenannte Generation X keine Generation von Couch Potatoes ist, sondern sich in vielen Gruppen organisiert und gegen die Gesellschaft rebelliert“, warb der Sender um Mitarbeit. Doch genau dahin, auf die Wohnzimmercouch vor dem Fernseher, will MTV die Jugend zurücklocken. Haben pfiffige Marktforscher dem unpolitischen MTV geraten, in Europa politischer aufzutreten, um die fernsehmüde Jugend vor den Bildschirmen an die Videoclips zu fesseln? – In der Londoner Europazentrale von MTV lacht man nur vieldeutig über diese Frage.
Galt früher noch das Mao-Wort „Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!“, so weiß heute auch die Linke nicht immer, wo der Feind steht. MTV weiß es auch nicht, sondern setzt auf Beliebigkeit. Für „Reject – Resist – Rebel!“ sucht der Sender junge BerlinerInnen, die „mit Aktionen auf sich, auf etwas und gegen etwas Aufmerksamkeit erzeugen wollen“. Gesucht wurden echte Autonome: „Warum Autonome? Wir haben eine ganze Reihe von Gruppen, die direkte Aktionen machen, aber die meisten davon sind nicht sooo radikal“, begründet MTV die Auswahl.
Viele der angesprochenen Gruppen aus dem linken Spektrum wollten sich dann aber doch nicht auf den Pakt mit dem Kommerzsender einlassen. Zwar hätte man sich durch die Sendung einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren können, aber letztlich wäre man doch nur instrumentalisiert worden, erklärt Manuel Zimmer von der Besetzervideozeitung AK Kraak den inneren Konflikt. „Wichtiger wäre uns gewesen, bestimmte Inhalte zu vermitteln, wie auf die bevorstehende Hinrichtung Abu Mumia Jamals hinzuweisen. Deshalb wollten wir auch Drehort, Einstellungen und Schnitt des Beitrags bestimmen. Doch die MTV- Leute sind nicht einmal beim vereinbarten Drehtermin erschienen“, so Videokünstler Manuel.
Als besonders heikel erwies sich die MTV-Anfrage beim „Chaos Computer Club“ (CCC). Die anarchistischen Computerfreaks kämpfen für einen freien Zugang zu allen öffentlich relevanten Informationen. Im Scherz schlugen sie deshalb vor, den MTV-Code zu knacken – denn seit 1. Juli ist MTV via Satellit nur noch verschlüsselt zu empfangen. MTV griff die Idee begierig auf, doch der CCC spielte nicht mit. „Wir wollten uns nicht von MTV mißbrauchen lassen. Mit dieser Aktion hätten die doch nur für sich selbst werben wollen“, sagt Andreas Steinhauser vom CCC. MTV hätte doch auch keine Minute gezögert, so glaubt Andeas Steinhauser, in der Sendung einen Jugendlichen mit Haßkappe und Sonnenbrille zu zeigen, der seinen gestreckten Mittelfinger in die Kamera hält und darüber schimpft, wie Scheiße er MTV findet. Ole Schulz
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen