piwik no script img

Wunsch nach dem starken Mann

Erschreckend viele junge Frauen denken autoritär, suchen Halt in traditionellen Rollenbildern und sind politisch rechts eingestellt  ■ Von Kirstin Hausen

Fünf Mädchen, alle einheitlich gekleidet, bewegen sich langsam von einer Bühnenseite zur anderen. Zuerst schlendern sie, tänzeln leichtfüßig, dann wird ihr Blick starr und das Kreuz steif. Schon gehen sie geordnet hintereinander, die Füße heben sich bei jedem Schritt ein Stückchen höher, bis die fünf Mädchen mit verzerrten Gesichtern im Stechschritt den Bühnenrand erreichen. „Trend nach Rechts“ heißt diese Szene des Kölner Bildertheaters „Gegengift“.

Anlaß für diese Aufführung war eine Studie des Ministeriums für die Gleichstellung von Frau und Mann in Nordrhein-Westfalen zum Thema Rechtsextremismus. Mit dieser Studie, die sich auf die Antworten von über 1.000 Jungen und Mädchen stützt, liegt erstmals ein repräsentatives Gesamtbild der Bedeutung von Rechtsextremismus bei Jugendlichen vor.

Die Ergebnisse sind alarmierend. Die Hälfte der befragten Mädchen zwischen 17 und 19 Jahren glaubt, daß eine Frau einen starken Mann an ihrer Seite braucht, 47 Prozent der 14- bis 16jährigen halten Erfolg im Beruf für Männersache. Angesichts dieser Zahlen konstatiert Anita Heiliger vom Jugendinstitut München einen erschreckenden Rückwärtstrend. Das traditionelle Frauenbild, gegen das frau in den vergangenen 30 Jahren angekämpft habe, gewinne in der jungen Generation plötzlich wieder Anhängerinnen.

Genau diese Anhängerinnen sind laut Studie besonders empfänglich für rechte Einstellungen. Die autoritär denkenden jungen Frauen sind besorgt um Recht und Ordnung und wünschen sich eine starke Person, die durchgreift. 25 Prozent von ihnen sind der Meinung, daß eine deutsche Frau keinen Ausländer heiraten sollte, und für 26 Prozent ist Gehorsam eine sehr wichtige Tugend. Aufgrund dieser Ergebnisse wird der Autoritarismus unter Fachleuten auch als die weibliche Form des Rechtsextremismus bezeichnet. So erkennt Marlu Quilling vom Jugendamt Köln in den autoritären Mädchen die Freundinnen der rechtsradikalen prügelnden Jungen wieder.

Selbst Gewalt anzuwenden kommt jedoch für die Mehrheit der Mädchen nicht in Frage. Rechts eingestellte Mädchen sind nach außen hin unauffällig, sie beteiligen sich nicht an fremdenfeindlichen Anschlägen und behalten ihre politische Meinung lieber für sich. Die Konsequenz ist, daß die Jugendhilfe dem Phänomen rechter Mädchen hilflos gegenübersteht. Viele Sozialarbeiterinnen zucken bei diesem Thema die Achseln: „Bei uns sehe ich das nicht!“ Und weil man die rechts eingestellten Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes nicht sieht, ist es für Jugendeinrichtungen sehr schwer, an diese Mädchen heranzukommen.

Wie mühsam die Kontaktaufnahme ist, kann Barbara Syree bestätigen. Sie arbeitet in Gelsenkirchen in einem Modellprojekt: Als Streetworkerin besucht sie die einschlägigen Treffpunkte der Szene und versucht mit den Mädchen ins Gespräch zu kommen. Doch nur langsam gewinnt sie ein besseres Verständnis für die Hintergründe.

Warum fühlen sich junge Frauen von einer grundsätzlich frauenfeindlichen Ideologie angezogen? Das Rollenverständnis in den rechten Programmen geht von einer naturgegebenen Ungleichheit von Frau und Mann aus. Das Spottbild vom Heimchen am Herd wird hier zum Idealbild. Die Frau als Mutter und Ehefrau hat sich um die Familie zu kümmern und ihrem Mann den Rücken zu stärken. Den Rücken stärken kann frau aber nur, wenn sie hinter ihrem Mann steht. Dort ist der ihr bestimmte Platz, die Frau steht hintenan. Ein großer Teil der rechtsextremen Frauen und Mädchen begnügt sich mit diesem Platz. Erklären läßt sich das nach Ansicht von Frauen- und Mädchenforscherin Anita Heiliger aus ihrer starken Orientierungslosigkeit und der Angst vor einer selbstbestimmten Zukunft. Außerdem seien die Mädchen Widersprüchen ausgesetzt: Das moderne Frauenbild beinhalte traditionelle weibliche Tugenden wie Sensibilität und Fürsorglichkeit ebenso wie eher männlich assoziierte Qualitäten, beispielsweise Durchsetzungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Dem Anspruch, diese Eigenschaften zu vereinen, fühlten sich die Mädchen aber nicht gewachsen. Sie kapitulierten vor einer komplexen Lebenskonzeption als Frau und suchten Halt in einem geschlossenen, einseitigen und damit einfachen Frauenbild. Anita Heiliger findet die Art, wie die Rechten ihre Rollentheorie an die Frau bringen, äußerst geschickt: „Die bieten für Grundsatzprobleme wie zum Beispiel die Doppelbelastung durch Beruf und Familie ganz einfache Lösungen an. In diesem Fall die Aufgabe des Berufs zugunsten der Familie, angeblich ohne eine Abwertung der Frau.“

Die Strategie, das Muttersein zu mystifizieren, ist nicht neu, sie wurde im Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben. Erfolgreich – wie Birgit Rommelspacher in ihren Forschungen zum Thema Frauen im Dritten Reich herausgefunden hat. Die Berliner Professorin spricht von der multiplen Identität jeder Frau. Deutsche Frauen identifizierten sich zum einen aufgrund ihres Geschlechts (und seien damit potentiell Diskriminierte) und zum anderen aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Hautfarbe und ihrer Religion (und seien damit potentiell Diskriminierende). Die Vorteile, die sich aus der letzteren Identität für Frauen im Nationalsozialismus ergeben hätten, hätten dementsprechend als Ausgleich für ihre Diskriminierung als Frauen gereicht.

Auch für die Mädchen von heute ergibt sich aus der rechten Ideologie der zumindest scheinbare Vorteil der klaren Rollenaufteilung, die Orientierung bietet. Die Mädchen nehmen eine fortdauernde strukturelle Diskriminierung von Frauen wahr, gegenüber der sie sich ohnmächtig fühlen (siehe Interview). So gaben in der Studie drei Viertel aller befragten Mädchen an, Frauen würden im Erwerbsleben benachteiligt. Über die Hälfte der befragten Mädchen war davon überzeugt, daß es eine wirkliche Gleichberechtigung niemals geben wird. Warum sollte frau um etwas kämpfen, was nicht zu erreichen ist? Als Reaktion auf diese frustrierende Erfahrung, so glaubt Anita Heiliger, wendeten sich die Mädchen Programmen zu, in denen die Frau wenigstens in ihrer traditionellen Rolle Anerkennung und Lob erntet.

Die Wissenschaftlerin fordert deshalb mehr Gleichberechtigung für Mädchen und Frauen. Die Gegenstrategie in der Jugendhilfe müsse in der präventiven Arbeit liegen. Dieser Ansatz wird auch von den Pädagoginnen in der Praxis einhellig befürwortet. Strittig bleibt das „Wie“. Doch wird den rechten Mädchen ihre Unauffälligkeit auf zynische Weise zum Verhängnis. Die Jugendpflegerin Marlu Quilling meint: „Das Geld in der Jugendhilfe wird immer knapper, erst wenn etwas passiert, werden Projekte finanziert.“ Da der schleichende Rechtstrend bei Mädchen im Gegensatz zu dem Problem rechtsradikaler Jungen kaum öffentlich diskutiert wird, sehen die PolitikerInnen auch keinen Handlungsbedarf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen