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„Nur die Schwulenszene“

■ Niedersachsen kürzt die Projektmittel, und die Oldenburger AIDS-Hilfe muß bangen.

Die Hiobsbotschaft kam vorgestern per Post. Darin teilte die Bezirksregierung Weser-Ems der Aids-Hilfe Oldenburg mit, daß die ausstehenden Landesmittel für das zweite Halbjahr um 20.000 Mark reduziert werden. Damit steht die Aids-Hilfe, die nicht nur die Stadt Oldenburg, sondern auch die umliegenden Landkreise mit einer Einwohnerzahl von ca. 1,2 Millionen Menschen betreut, möglicherweise vor dem Aus.

Es gibt zwei Möglichkeiten zu sparen, sagt Brigitte Leupelt, die die einzige feste Stelle in dem Projekt innehat. „Entweder nehmen wir den Telefonhörer nicht mehr auf, stellen im Winter die Heizung aus und kaufen keinen Griffel mehr, oder wir streichen meine Stelle.“ In diesem Fall müßte die Oldenburger Aids-Prävention zukünftig von den eherenamtlichen MitarbeiterInnen und zwei ebenfalls finanziell gefährdeten AB-Kräften geleistet werden.

Schon die bisherige Finanzierung zwang das Projekt immer wieder zu internen Umstrukturierungen: Die Stadt reduzierte vergangenes Jahr ihre Zuschüsse von 12 auf 10 Monatsmieten. Das Land bezahlte eine Stelle und die Betriebsmittel. Fürs erste Halbjahr 95 erhielt die Aids-Hilfe dafür 67.000 Mark. Die Bezirksregierung sagte die gleiche Summe für das zweite Halbjahr zu. Nun aber ordnete das Land die Kürzung der Mittel um 20.000 an.

Die Aids-Hilfe, bereits im Vorfeld eine Kürzung ahnend, hatte sich hilfesuchend an die Landtagsabgeordneten gewandt. Effekt: Ein SPDler sandte einen kritischen Brief an die falsche Adresse, nämlich die Bezirksregierung. Anders CDU-MdL Josef Dierkes, der in einer kleinen Anfrage an den Landtag die „nicht verzichtbare Notwendigkeit der Aids-Hilfe“ unterstreicht und davor warnt, die Zuschüsse zu streichen. Auch CDU-Bundestagsmitglied Thomas Kossendey, seit 10 Jahren im Beirat der Aids-Hilfe, schrieb dem Landtagspräsidenten einen Brief, in dem er sich gegen die Streichung der 20.000 Mark wendet und anmerkt, „daß sich die Verantwortlichen wohl nicht ganz im klaren waren, welche Konsequenzen damit ausgelöst werden könnten.“

Allein an der Aids-Hilfe will Niedersachsen landesweit 440.000 Mark in diesem Jahr einsparen. „Dies geht zu Lasten der Prävention und wird sich langfristig an der Zunahme von Krankheitsfällen rächen“, sagt die Aids-Hilfe. Nach Berechnungen der EU kostet ein einziger HIV-Infizierter allein 750.000 Mark. Vom menschlichen Leid einmal abgesehen sei das „ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Politiker, die das nicht bedenken, handeln kurzsichtig und verantwortungslos.“

Thomas Steg, Pressereferent des niedersächsischen Sozialministeriums, sieht das anders. Er hält die 440.000 Mark Einsparungen bei der Aids-Hilfe für „vertretbar“. Das Land habe 660 Millionen in diesem Jahr einzusparen, im Nachtragshaushalt seien nochmals zwei Milliarden fällig. Da müßten überall Abstriche gemacht werden, ob im arbeitsmarktpolitischen Bereich, in der Drogenpolitik oder bei der Aids-Prävention. „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera“, sagt Steg, und gibt zu bedenken, daß sich der Bund vor drei Jahren komplett aus der Aids-Prävention rausgezogen hat. Das Land sei nur eingesprungen und habe das, was von Geissler und Süßmuth aufgebaut worden war, quasi übernehmen müssen.

Die Mittelreduzierung lege nicht die Aids-Prävention gänzlich lahm, die noch immer einen Etat von knapp 3 Millionen Mark veranschlagt sei. Die Kürzungen beträfen allein die Aids-Hilfen, da diese nur „ein bestimmtes Segment der Schwulenszene“ repräsentieren. „Es ist eine Frage der Abwägung, ob das, so bitter die Kürzung ist, politisch zu verantworten ist.“

Immerhin verzichtet das Land zukünftig darauf, die von den Aids-Hilfen gesammelten Spenden auf die Zuschüsse anzurechnen. Doch es ist kaum zu glauben, daß die Oldenburger Aids-Hilfe bei ihrer heutigen Sammelaktion 20.000 Mark einnimmt. dah

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