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Kröten für den großen Knall

■ Gutachten: Seit 1945 zahlten die USA 3,9 Billionen Dollar für ihre Atomwaffen

Berlin (taz) – Die USA haben seit 1945 mindestens 3,9 Billionen US-Dollar für ihre Atomstreitmacht ausgegeben, weit mehr als jemals vermutet und offiziell ausgewiesen. Die – nach heutigen Preisen – ermittelte Summe entspricht fast einem Drittel der gesamten Verteidigungsausgaben der USA seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist mehr als achtmal so hoch wie der Gesamtetat 1995 der Bundesrepublik. Die Atombombe ist damit nicht nur die schrecklichste, sondern auch die kostspieligste Erfindung der Menschheit.

Eine hochrangig besetzte Wissenschaftlergruppe unter der Leitung des Ökonomen Stephen Schwartz hat erstmals versucht, alle seit 1945 angefallenen Kosten für Erforschung, Entwicklung, Konstruktion und Unterhalt der US-Atomwaffen zu ermitteln. Ein Zwischenbericht der Studie („Die atomare Rechnung – was das US- Atomarsenal wirklich kostet“) wurde zum 50. Jahrestag der Bombe präsentiert: „Counting the Bucks for the Bang“ haben die Wissenschaftler ihre Zusammenfassung im US-Slang überschrieben: „Die Kröten für den großen Knall“.

Die Forscher kritisieren die Irreführung der Öffentlichkeit durch die offiziellen Zahlen. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums seien die Ausgaben für Atomwaffen von jährlich 53 Milliarden Dollar (Stand 1964) auf 13 Milliarden (1994) zurückgegangen. „Diese Zahlen sagen aber nur die halbe Wahrheit“, moniert Schwartz. Sie enthielten nicht die Milliarden, die das Energieministerium für die Atomwaffen ausgibt. Auch die Kosten für die Nuklearflotte der Marine seien vergessen worden. Ebenso fehlen in den bisherigen Abschätzungen die Kosten der Infrastruktur, die notwendig sei, um das Waffenarsenal zu überwachen und zu pflegen. Zudem müßten „Tausende“ von Standorten, Atomfabriken und Waffen-Produktionsstätten instandgesetzt werden.

Selbst heute, nach dem Untergang des Sozialismus und dem Ende der Blockkonfrontation, geben die USA nach Angaben der Studie jährlich 25 Milliarden Dollar für ihre Atomwaffen aus. „Diese Kosten entstehen“, heißt es in dem Zwischenbericht, „obwohl seit 1990 keine neuen Sprengköpfe und Atombomben gebaut wurden und die Atomtests im September 1992 eingestellt wurden und obwohl der Umfang der US- Atomwaffen seit 1989 von 21.000 auf 14.000 geschrumpft ist.“ Der größte Teil der gegenwärtigen Ausgaben entfällt auf die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der bestehenden Atomwaffen. Ebenso der Unterhalt der Produktionsstätten, die auch dann Unsummen verschlingen, wenn keine neuen Bomben gebaut werden.

Die Kostenlawine ist nach Aussagen der Wissenschaftler noch lange nicht zu Ende. Einen großen Teil ihrer atomaren Rechnung müssen die Amerikaner in den nächsten Jahrzehnten erst noch bezahlen. Auf 200 bis 500 Milliarden Dollar werden die notwendigen Umweltprogramme geschätzt, um die Folgeschäden der Atomwaffen zu beseitigen. Fixiert auf die Konstruktion immer neuer Waffen, habe die US-Regierung 45 Jahre lang der radioaktiven und toxischen Verseuchung „nur kärgliche Aufmerksamkeit gewidmet“, heißt es in dem Bericht. – Aufsichtsbehörden und US-Kongreß hätten die „wuchernden Kosten für die Atomwaffen“ nur als Zuschauer begleitet. Mehr als 75 Milliarden Dollar seien in utopische, später aufgegebene atomare Waffensysteme investiert worden, deren Sinn und Realisierbarkeit unzureichend geprüft wurde. Als Beispiel nennt die Studie unter anderem das SDI-Projekt.

Fast niedlich nehmen sich im Vergleich zu der Zahl von 3,9 Billionen Dollar die Kosten für konventionelle Waffensysteme aus, die in dem Papier den Atomwaffen gegenübergestellt werden. Beispiel: Für sämtliche konventionellen Bomben, Minen und Granaten haben die USA seit 1945 rund 30 Milliarden Dollar ausgegeben.

Auch die Kosten für Entwicklung und Bau der Hiroshima- Bombe sind in der Studie auf heutige Preise umgerechnet und exakt ausgewiesen. Die Vernichtung von 200.000 Menschen kostete die USA 6,7 Milliarden Dollar. Manfred Kriener

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