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So irrten die Forscher

■ Laut jüngsten Veröffentlichungen planten amerikanische Militärs von Beginn an, die Atombombe in Japan einzusetzen

Berlin (taz) – J. Robert Oppenheimer, Leiter des „Manhattan- Project“ bedauerte am 6. August 1945 nur eines: „Schade, daß die Bombe nicht rechtzeitig für Deutschland fertig wurde.“ Der Angriff auf Japan, so sahen es auch seine Kollegen, sei lediglich ein Alternativszenario gewesen. „Wir hatten den Eindruck, daß Deutschland das vorrangige Ziel für die Bombe war“, erklärte Hans Bethe, Leiter der Theoretischen Abteilung des Manhattan Project in Los Alamos im amerikanischen Bundesstaat New Mexico, noch im Februar diesen Jahres. Sein Kollege Glenn Seaborg, der als erster im Team das Plutonium isolierte, stimmte ihm zu: „Bis zur Kapitulation der Deutschen im Frühjahr 1945 dachten wir, daß Deutschland das Ziel der Atombombe sei.“

Die Wissenschaftler irrten. Oder besser: Sie wurden getäuscht. Denn die 50 Jahre geheimgehaltenen Dokumente, die jetzt in der Mai-Ausgabe der US-Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists veröffentlicht wurden, zeigen, daß Militärs und Politiker der USA den Einsatz der Bombe immer gegen Japan und nie gegen Deutschland geplant hatten. Die Angst vor dem militärischen Erfolg der Deutschen wurde danach von Leslie Groves, dem militärischen Direktor des Projekts, lediglich benutzt, um sein Forscherteam voranzutreiben. Groves notierte bereits im Mai 1943 über eine Besprechung des Military Policy Committee: „Allgemein schien es, daß der beste Einsatz ein Schlag gegen die japanische Flotte im Hafen von Truk nördlich von New Guinea wäre.“ Obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch möglich schien, eine Atombombe für den Krieg in Europa herzustellen, „geben die Dokumente keinen Hinweis auf Diskussionen oder gar Pläne für einen Einsatz der Bombe gegen Deutschland“, so die jüngsten Veröffentlichungen der Zeitschrift für Atomwissenschaftler.

Auch bei einem Treffen zwischen dem britischen Premier Churchill und dem US-Präsidenten Roosevelt im September 1944 wurde ein Einsatz der Atombombe gegen Deutschland mit keinem Wort erwähnt. Statt dessen hieß es offensichtlich auch dort, daß die Bombe „vielleicht gegen Japan eingesetzt werden könnte“. Schließlich schrieb Groves am 23. April 1945 in einem Bericht an den amerikanischen Kriegsminister: „Das Ziel ist, wie immer erwartet, Japan.“

Damit umging Groves nicht nur den Glauben der Forscher, die er darüber hinaus auch noch bewußt isoliert hielt, um eine Diskussion über den Einsatz ihres Werks zu verhindern. Auch das eigentliche Anliegen des Manhattan Project war eindeutig gegen Deutschland gerichtet gewesen. „Der Einsatz der Atombombe könnte den Krieg entscheiden“, hatte Berater Vannevar Bush seinem Präsidenten Roosevelt im März 1942 erklärt. „Falls der Feind zuerst diese Ergebnisse erzielte, wäre das eine außerordentlich schwerwiegende Sache.“ Dieser Feind war Deutschland, dessen Forschungsstand 1939 Wissenschaftler, unter ihnen viele Exilanten, veranlaßt hatte, die US- Regierung zur Entwicklung der Atombombe zu drängen. Doch, so weiß man heute: „Im Herbst 1944 hatte sich das Programm, das aus Angst vor einer deutschen Bombe begonnen worden war, verändert: Der Einsatz nuklearer Waffen garantierte nun eine immense militärische Überlegenheit gegen einen konventionellen Gegner“, schreibt die Zeitschrift.

Als Grund für die nukleare Zurückhaltung der Amerikaner sieht der Autor Arjun Makhijani im Bulletin of Atomic Scientists ferner keineswegs humanitäre Bedenken. Die „moralische Schwelle zu den Terrorangriffen auf die Zivilbevölkerung“ sei mit den Angriffen auf Dresden und Tokio bereits überschritten gewesen. Vielmehr zeige sich im Nichteinsatz der Atombombe gegen Deutschland „eine Form der nuklearen Abschreckung“: Ein möglicher Blindgänger, so der interne Bericht des Military Policy Committee, hätte von den Deutschen geborgen werden können – und ihnen damit möglicherweise wichtige Daten für die eigene Forschung geliefert. Bernhard Pötter

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