: "Mein Gott, was haben wir getan." Bomberpilot Robert Lewis war entsetzt über das, was er mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 angerichtet hatte. 200.000 Menschen verglühten, starben unter Trümmern. 50 Jahre danach fo
„Mein Gott, was haben wir getan.“ Bomberpilot Robert Lewis war entsetzt über das, was er mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 angerichtet hatte. 200.000 Menschen verglühten, starben unter Trümmern. 50 Jahre danach fordert die Verstrahlung immer noch Opfer.
Der Blitz, der die Welt änderte
Wer heute Hiroshima oder Nagasaki besucht, sieht zunächst nur hochmoderne Gebäude, gepflegt gekleidete Menschen und viele Autos. Vergeblich die Suche nach Spuren der Bombe – die finden sich nur in den Gedenkstätten. Dort erst gibt es Hinweise darauf, daß Atombomben diese Städte einmal in Schutt und Asche gelegt haben. Der Kontrast zwischen den modernen Städten von heute und den Bildern der bei lebendigem Leib verbrannten Menschen könnte krasser kaum sein.
Aber ist dieser Kontrast nicht selbstverständlich? Seit den Atombombenabwürfen sind immerhin 50 Jahre vergangen. Blumen blühen, Gras ist gewachsen, obwohl man nach dem Abwurf befürchtet hatte, daß dort kein Halm jemals mehr wachsen würde. Die Behörden beider Städte mußten auf völlig verwüsteten Flächen rasch neue Gebäude errichten lassen, Ruinen, die an die Katastrophe erinnerten, sind im Laufe des Wiederaufbaus verschwunden. Auch sind viele Strahlungsopfer inzwischen gestorben. Die junge Generation kennt nur noch das Nachkriegsjapan, das schnell zur zweitgrößten Industrienation der Welt aufstieg.
Und doch täuscht sich, wer glaubt, die Erinnerungen an die Schrecken vom August 1945 seien nur in den wenigen Gedenkstätten und Friedensparks lebendig. Hiroshima und Nagasaki bewahren für Japan einen Sonderstatus. Keine anderen Ereignisse haben die Inselnation so unwiderruflich mit der Weltgeschichte verschmolzen wie die Atombombenabwürfe. Sie prägen bis heute das Bewußtsein vieler Japaner, unabhängig davon, wieviel sie über Hiroshima und Nagasaki wissen.
In der Nachkriegszeit wurden Hiroshima und Nagasaki Symbole für eine Leidensgeschichte, mit der viele Japaner die Kriegsschuld und die Verbrechen der Soldaten des Kaisers verdrängten. Auch den Aufrichtigen fiel es schwer, sich als Täter und Opfer zugleich zu betrachten. Daß sie aber nicht nur Täter waren, war nach den Atombombenabwürfen nicht mehr von der Hand zu weisen: Was die Menschheit in Hiroshima zum ersten Mal erlebte, sprengte jegliche Vorstellungskraft: Durch eine einzige Bombe wurde eine Stadt völlig zerstört. Bis Ende 1945 kamen in Hiroshima ca. 200.000, in Nagasaki 90.000 Menschen um. Viele starben gleich am Tag der Explosion inmitten der Zerstörungen. Die Zahl derjenigen, die bis heute an Strahlungskrankheiten gestorben sind, ist nach wie vor unklar. Noch immer leben in Japan über 330.000 Strahlungsopfer, die Auswirkungen auf die zweite und die dritte Generation sind, obwohl sich die schlimmsten Befürchtungen bislang nicht bewahrheitet haben, weiterhin ungeklärt.
Als die USA nach dem Krieg Japan besetzten, verhängten die Behörden zunächst eine strikte Zensur; sie betraf alle Veröffentlichungen, Bilder und Literatur zum Thema Hiroshima und Nagasaki. Erst in den fünfziger Jahren bildete sich in Japan eine breite Anti- Atomwaffen- Bewegung. Den Anlaß dafür gaben wieder die Amerikaner; die USA testeten zu jener Zeit auf der kleinen Insel Bikini im Pazifik Wasserstoffbomben. Am 1. März 1954 ging die radioaktive Asche einer solchen Bombe auf das japanische Fischerboot „Glücklicher Drache“ nieder, das gerade im Pazifik kreuzte. Alle 23 Fischer an Bord waren der Strahlung ausgesetzt, einer von ihnen starb bald darauf an den Folgen.
Es war die Angst vor verseuchten Fischen, aber auch die Wut darüber, daß nach Hiroshima und Nagasaki schon wieder ein Japaner Opfer einer Atombombe geworden war, die die Bürger zum ersten Mal veranlaßten, offen gegen Atomwaffen zu protestieren – die erste Bürgerbewegung auf nationaler Ebene in einem neuen demokratischen Japan.
Die Wortführer der Protestbewegung behaupteten, daß diejenigen, die Hiroshima und Nagasaki selbst erlebt hätten, verpflichtet seien, den Rest der Welt über die Folgen der Atomkatastrophe zu unterrichten. In den Zeiten des Kalten Krieges konnte kaum eine andere Botschaft überzeugender klingen. Zu jener Zeit bemühten die Japaner gern das Bild vom „einzigen Volk, das die Atombombe erlebte“. Es dauerte noch lange, bis ein Teil der Anti-Atomwaffen-Bewegung wahrnahm, daß auch viele Koreaner und Chinesen in Hiroshima und Nagasaki den Atombomben und ihren Folgen zum Opfer gefallen waren.
Shigetoshi Iwamatsu aus Nagasaki zählt zu den wenigen Zeitzeugen, die das starke Opferbewußtsein der Japaner seit langer Zeit in Frage stellen. Der Wirtschaftsprofessor, der selbst als Schüler den Abwurf der Bombe in seiner Stadt erlebt hat, kritisiert die Anti- Atom-Bewegung, daß sie sich nur auf die eigenen Leiden konzentriert. Nach seiner Auffassung nehmen die Japaner ihre Verantwortung als Täter im Zweiten Weltkrieg nicht ausreichend wahr. Gleichzeitig aber weist Iwamatsu darauf hin, daß die Leiden der Strahlenopfer in Hiroshima und Nagasaki in der japanischen Gesellschaft nie anerkannt wurden. „Die Japaner, die den Atombombenabwurf nicht erlebten, hörten uns schon in der Nachkriegszeit nicht ernsthaft zu.“
Statt dessen diskriminierte man die Opfer. Aufgrund ihrer schwer einschätzbaren Erkrankungen galten die Strahlenopfer als arbeitsunfähig und wurden als Ehepartner abgelehnt. Noch heute melden sich jährlich mehr als 2.000 bisher nicht gezählter Strahlenopfer, um einen Krankenschein zu bekommen. Der Hauptgrund für ihre verspätete Anmeldung ist die Angst vor der Stigmatisierung. Viele Leute melden sich erst, nachdem ihre Kinder schon erwachsen geworden sind, damit ihnen bei der Jobsuche oder beim Heiraten keine Nachteile entstehen.
Vor allem die Angst der Strahlenopfer vor dem Unverständnis der anderen ist 50 Jahre danach immer noch nicht abgeklungen. Shigetoshi Iwamatsu erklärt damit auch das starke Opferbewußtsein dieser Leute: „Strahlenopfer wünschen sich immer wieder, daß ihre Erlebnisse verstanden werden. Gerade weil das nicht der Fall ist, klammern sie sich um so mehr an diesen Wunsch. So aber gehen die Erzählungen der meisten über ihre Erlebnisse mit der Explosion nicht hinaus.“ Im Westen und in den übrigen asiatischen Ländern sind ihre Darstellungen deshalb immer wieder als einseitig empfunden worden. Bis heute ist ihr Schicksal außerhalb Japans kaum bekannt.
Auch Yasuo Miyazaki, der intellektuelle Doyen der Friedensbewegung in Hiroshima, bestreitet nicht die Notwendigkeit einer breiten Debatte um Japans Kriegsverantwortung. Doch für Miyazaki darf damit nicht die eigentliche Botschaft der Atombombenstadt relativiert werden: „Das Atombombenerlebnis von Hiroshima muß auch unabhängig vom historischen Prozeß und der speziellen japanischen Kriegsverantwortung an die nächste Generation weitergegeben werden. Denn auch wenn Japan heute zu Recht für seine Vergangenheitsbewältigung kritisiert wird, darf unser Nein zur Atombombe nicht leiser klingen.“ Chikako Yamamoto, Tokio
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