: Guinness goes gay – mit kalten Füßen Von Ralf Sotscheck
Küssen sie sich, oder küssen sie sich nicht? Diese Frage spannt die Guinness-Trinker in Irland und Großbritannien seit Ende Juni auf die Folter. Damals sickerte durch, daß in der neuen TV-Werbung der Brauerei erstmals ein schwules Paar auftritt: Was in dem Spot zunächst wie ein Ehestreit aussieht, entpuppt sich schließlich als Auseinandersetzung zwischen zwei Homos, während Tammy Wynette im Hintergrund „Stand By Your Man“ singt. Für das Ende drehte man gleich mehrere Varianten, darunter den Versöhnungskuß.
Ob überhaupt eine der Versionen gezeigt wird, steht jedoch in den Sternen. Eigentlich sollte die neue Werbekampagne schon vor zwei Wochen anlaufen, doch Guinness hat kalte Füße bekommen und die Sache verschoben – angeblich weil sie zuviel Staub aufgewirbelt hat. Was kann einem Unternehmen aber besseres passieren? Der seriöse Guardian und die schmuddelige Sun haben auf Seite Drei ausführlich darüber berichtet, die Gay Times und andere Homoblätter kennen kaum noch ein anderes Thema. Ausgerechnet Guinness, so wundert man sich überall – hat das schwarze Bier doch ein ausgesprochenes Macho- Image. Die Konkurrenz wirft Guinness „Benetton-Taktik“ vor. Die aber brachte den Italienern nur Publizität, keinen Absatzboom.
Doch gerade um die Umsatzsteigerung geht es den Bierbrauern – die Zeiten, in denen TV-Spots als Hobby der Geschäftsführung angesehen wurden, sind längst vorbei. Früher behaupteten böse Zungen, in Irland herrsche eine „Guinness-Kreislaufwirtschaft“: Der Löwenanteil eines Pints Guinness (0,57 Liter) sind Steuern, die zum Großteil in die Sozialhilfe fließen, die wiederum hauptsächlich in Guinness angelegt wird. Seit den siebziger Jahren geht der Umsatz zum Leidwesen von Guinness jedoch stark zurück. Beim Nachwuchs steht das dunkle Bier im Ruf, ein Seniorengetränk zu sein.
Außerdem beraubte man Guinness seines erfolgreichsten Werbeslogans, der von der Krimi-Autorin Dorothy L. Sayers stammt: „Guinness is good for you.“ Die Werbetexter umrahmten den Satz mit allerlei abstrusen Reimen: „As the new gnu knew, very soon at the zoo, Guinness is good for you.“ Die Aufsichtsbehörde für Werbung sah das freilich anders: Guinness sei weder gut für Gnus noch für andere Tiere und schon gar nicht für Menschen, und fortan durfte der Satz nicht mehr verwendet werden. Doch Guinness möbelte den Ruf des schwarzen Bieres durch phantasievolle Reklamefeldzüge wieder auf. Kaum aber war das gelungen, da tauchte plötzlich Konkurrenz in Form von Murphy's und Beamish auf. So rätselt man nun in den oberen Etagen des Bier-Multis, ob man die betuchte Homo- Kundschaft mit der neuen Werbekampagne zum Guinnesstrinken animieren kann, oder ob sich die Macho-Stammtrinker statt dessen aus Protest den schlabbrigen hellen Sorten zuwenden.
Der Spot mit dem schwulen Pärchen steht unter dem Motto: „Das Leben ist nicht immer schwarzweiß.“ Das ist von der Financial Times abgekupfert. Deren Leitspruch lautet: „Die Wirtschaft ist nicht immer schwarzweiß.“ Nun wird das Londoner Wirtschaftsfachblatt schon lange auf rosa Papier gedruckt. Wird Guinness etwa künftig ein pinkfarbenes Bier brauen?
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