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Wenn im Trinkwasser zuviel lebt ...

■ Die Schmutzwelle aus den Abwässern von Charkow erreicht die Stadt Rostow am Don. Die Wasserwerke sind überfordert, die Stadtverwaltung richtet Quarantänestationen ein.

Rostow am Don (taz) – Der Bürgersteig gleicht einer Vulkanlandschaft. Krater reiht sich an Krater. In ihren Schlünden sammelt sich Wasser und verdampft in dünnen Fahnen. Es sind über dreißig Grad in Rostow, die Stadt erstickt in Schwüle. Rostows Boulevard, der Gartenprospekt, kann dem Klima nicht standhalten. Mit jedem Regenguß ändert er seine Morphologie. Im Gorki-Park, der innerstädtischen Lunge, haben die Leute den Regen abgewartet. Wasser ist in diesen Tagen das Gesprächsthema.

Seit in Charkow, beim ukrainischen Nachbarn, Hunderttausende Liter ungeklärter Abwässer ins Trinkwasser gelangten, ist Rostow am Don in Alarmbereitschaft versetzt worden. Über die ukrainischen Flüsse Lopan und Severnij Donez gelangt das verschmutzte Wasser direkt in den Don, die Lebensader der Millionenstadt.

Im Juli traten in Rostow und Umgebung Cholerainfektionen auf, die Zahl von Milzbränden und Tetanus nahm ebenfalls zu, fast zweieinhalbmal mehr wurden ernsthafte Niereninfektionen registriert. Die Stadtverwaltung reagierte ziemlich schnell und richtete Quarantänestellen ein. Mehrere Kreise sind von der Nagerpest befallen, die für Kleintiere tödlich ist. Wer jetzt dort hin will, muß eine Impfung nachweisen. Natalja Emeljanowa vom städtischen Pressedienst ist ungewöhnlich offen und hilfsbereit. „Worauf in Gesprächen mit Amtsträgern zu achten wäre“, gibt sie gleich mit auf den Weg ... Einige Quartiere hatten in den letzten Tagen überhaupt kein Wasser. Die Bewohner nehmen es eher gelassen. Die Begründung fällt je nach politischem Standpunkt aus. Fühlt man sich näher der Macht oder hegt ihr gegenüber keine übermäßige Abneigung, ist man gewillt, den Wassermangel im Rahmen der üblichen „Havarien“ zu interpretieren. Denn die Kanalisation stammt aus den dreißiger Jahren, sei dringend überholungsbedürftig, und die drei Klärwerke müßten auch auf neuesten Stand gebracht werden. Doch es fehlt am Geld.

Andere sehen darin schlicht Unfähigkeit der Verantwortlichen, mit der Lage fertig zu werden. Denn das kleine Flüßchen Temernik im Rostower Stadtgebiet, das nicht aus der Ukraine gespeist wird, gilt schon seit langem als hoch toxisch.

Die Rostower Wasserwerke unternahmen nichts und begründeten das mit Geldmangel. Doch Valentin Stroiteljew von „Wodokanal“, der das Kanalisationsnetz verwaltet, behauptet, die Trinkwasserqualität sei nach der Charkower Katastrophe besser als je zuvor. Um das Trinkwasser zu verdünnen, werden pro Sekunde 160 Kubikmeter Frischwasser aus einem künstlichen Stausee zugeleitet, der „Rostower Meer“ heißt.

Jedem Einwohner stehen jetzt wieder 58 Liter pro Tag zur Verfügung, das Minimum wird gemeinhin mit zehn Litern berechnet. Darüber hinaus habe das Wasser schon an der ukrainischen Grenze eine bessere Qualität, weil die Charkower ihrerseits verdünnen.

Da fragt man sich doch, warum ging das nicht vorher? Stroiteljew zuckt mit den Achseln. Geldprobleme? „Was kann das schon kosten?“ wehrt er ab. War nicht genau das der Hauptgrund für die Wasserwerker, nicht in Aktion zu treten? Stroiteljew ist bemüht, nicht auch noch das Image von Stadt und Land zu beschmutzen. Immer wieder kreisen seine Ausführungen um die Worte „europäischer Standard“ oder gar „Weltniveau“ wie noch zu seligen Zeiten. Natürlich übertrifft man in Rostow in manchen Kriterien selbst die Anforderungen des Westens. Allerdings wird die Wassergüte nur anhand von 32 Parametern festgestellt, während andernorts immerhin an die 80 gemessen werden.

Auf der Straße in Rostow dringt ein heftiger Geruch in die Nase. In besseren Restaurants entpuppen sich die Eiswürfel am Boden des Glases Cola als Chlorpatronen. Die Angst vor Infektionen übersteigt auf jeden Fall die Norm. Klaus Helge Donath

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