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Die Karten werden neu gemischt

■ Die "Serbische Republik Krajina" existiert nicht mehr. Der Plan der EU und UNO ist Makulatur. Die kroatische Offensive gibt jenen Auftrieb, die auf Waffengewalt setzen.

Mate Granić konnte seine Zufriedenheit nur mühsam verbergen, als er gestern nachmittag den Genfer UNO-Palast verließ, seit September 1992 Schauplatz zahlreicher Verhandlungsrunden über die innerjugoslawischen Konflikte. Die Jugoslawien-Vermittler von UNO und EU, Thorvald Stoltenberg und Carl Bildt, waren das Kontrastprogramm. Sie wirkten ausgesprochen hilflos, als sie nach ihrem Treffen mit dem kroatischen Außenminister vor die Presse traten. Bereits in den letzten zwei Monaten hatten die beiden Vermittler mit ihren Bemühungen zur Lösung der Konflikte in Kroatien wie in Bosnien nur noch auf der Stelle getreten, ja sogar Rückschläge erlitten. Mit Erklärungen über angeblich Erfolge machten sie sich – und damit ihre Auftraggeber UNO und EU – zunehmend unglaubwürdig. So hatte hatte Bildt Mitte Juli erklärt, eine Vereinbarung mit Serbiens Präsident Slobodan Milošević über eine Anerkennung Bosnien-Herzegowinas sei praktisch unter Dach und Fach. Und nach Abschluß der Gespräche zwischen der kroatischen Regierung und den Krajina-Serben hatte Stoltenberg am letzten Donnerstag abend, nur zwölf Stunden vor Beginn der kroatischen Militäroffensive, „erhebliche Fortschritte“ verkündet.

Das alles ist jetzt Geschichte. Mit seiner bislang erfolgreich verlaufenen Militäraktion hat Kroatiens Präsident Franjo Tudjman die Karten neu gemischt. „Die Suche nach politischen Lösungen“ ist nach Einschätzung von Genfer Diplomaten zunächst einmal „völlig blockiert“. Das gilt für die Bemühungen von UNO und EU wie auch der Kontaktgruppe aus USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. „Von Belgrad über Pale bis Washington“, so ein Diplomat, „haben diejenigen Auftrieb erhalten, die auf die militärische Karte setzen.“ Die Clinton-Administration, die die kroatische Militäroffensive nicht nur billigte, sondern durch die Entsendung von Militärberatern und die Lieferung von Waffen aktiv unterstützte, hat sich damit zugleich ein Problem geschaffen. Die erfolgreiche Militäroperation Zagrebs gegen die Krajina-Serben liefert der Mehrheit im US-Kongreß, die im Gegensatz zu Clinton die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien fordet, zusätzliche Argumente.

Sicher ist, daß der von den Zagrebern Botschaftern der USA, Rußlands, der EU und der UNO entworfene „Z-Plan“ für Kroatien jetzt Makulatur ist. Er sah den Verbleib der Krajina in Kroatien vor, sowie sehr weitreichende Autonomierechte für die Serben in den Gebieten, in denen sie vor Kriegsbeginn im Sommer 1991 die Bevölkerungsmehrheit stellten. Die selbstausgerufene „Serbische Republik Krajina“ existiert nicht mehr. Granić machte in Genf klar, daß seine Regierung künftig nur noch zu „Gesprächen mit lokalen Vertretern“ der Serben in der Krajina sowie in Ost- und Westslawonien bereit ist, nicht aber mit Repräsentanten der ehemaligen Republik. Möglicherweise gibt es demnächst für Zagreb überhaupt keine serbischen Gesprächspartner mehr. Nach Angabe von Diplomaten äußerte Granić in Genf die Einschätzung, daß bis zu 99 Prozent aller Serben die Krajina verlassen werden.

Die Erwartung, die Anerkennung Kroatiens könne Serbiens Präsident Milošević nun leichter fallen, da die „Serbische Republik Krajina“ nicht mehr existiert, wird von den Genfer Diplomaten nicht geteilt. Zuvor müsse die Zukunft des serbisch besetzten Ostslawonien geklärt werden. Die Diplomaten widersprechen der in den letzten Tagen wieder verstärkt zu hörenden Einschätzung, es gebe eine Absprache zwischen Milošević und Tudjman, wonach nach der Rückeroberung der Krajina Ostslawonien an Serbien falle. Jüngste Gespräche mit Milošević und mit Mitgliedern der Regierung Tudjman hätten „keinerlei Anzeichen für eine solche Absprache erbracht“. Statt dessen gebe es „beunruhigende Informationen über Truppenbewegungen“ in den an das kroatsiche Ostslawonien angrenzenden Regionen Serbiens.

Die größte Unsicherheit herrschte gestern unter Diplomaten bezüglich der künftigen Haltung der bosnischen Serben. Am Nachmittag begann in Pale eine Sitzung des Parlaments der selbsternannten „Serbischen Republik“. Sollte sich General Ratko Mladić in dem in den letzten Tagen offen ausgebrochenen Machtkampf mit Radovan Karadžić durchsetzen, sei eine Verständigung über einen Teilungsplan für Bosnien nicht ausschließen. Was bei einem solchen Teilungsplan schließlich für die bosnische Regierung übrig bleibt, wird wesentlich vom Verhalten der Kroaten abhängen. Stärkt der militärische Erfolg gegen die Krajina-Serben auch diejenigen in der Umgebung Tudjmans und in der bosnischen Westherzegowina, die auf die Schaffung eines Großkroatiens (das heißt unter Einschluß von Teilen Bosniens) setzen? Oder wird die kroatische Armee nicht nur in der für Zagreb strategisch relevanten Region Bihać gemeinsam mit den bosnischen Regierungstruppen gegen die Serben operieren, sondern auch in anderen Teilen Bosniens?

Die Diplomaten fürchten, daß der glatte, von der internationalen Staatengemeinschaft unbehinderte militärische Erfolg Tudjmans auch über Bosnien und Kroatien hinaus konfliktverschärfende und eskalierende Konsequenzen hat. Milošević könne künftig davon ausgehen, daß ein verschärftes Vorgehen gegen die Albaner im Kosovo von der internationalen Staatengemeinschaft ebenso toleriert wird. Dies könnte dann tatsächlich zur Ausweitung des Krieges auf Mazedonien, Albanien und letztlich vielleicht sogar auf Griechenland und die Türkei führen. Andreas Zumach, Genf

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