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Musikalische Hits mit Sahnetörtchen

■ Vorschau auf die Konzertsaison der Philharmonischen Gesellschaft

Am Ende ist alles ganz schnell gegangen: Nachdem monatelang ein neuer Generalmusikdirektor gesucht worden war und diverse Kandidaten kurz vor Vertragsabschluß absprangen, hat dann doch einer unterschrieben: der Wiener Günter Neuhold. Damit verbindet sich für die Philharmonische Gesellschaft nach Jahren der künstlerischen Unsicherheit die eine ernst zu nehmende Hoffnung. Diese neue „Hochzeit“ findet in der Konzertvorschau für 1995/96 einen ersten selbstbewußten Ausdruck.

Daß dabei die Glocke als Aufführungsort von April bis Dezember 1996 wegen des aufwendigen Umbaus überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht, ist nicht nur negativ: die Konzerte im St. Petri-Dom und im Congress-Zentrum sind mehr als Ersatzräume. Vielleicht erschließen sie sogar andere ZuhörerInnenkreise.

Drei der angekündigten Konzerte dirigiert Günter Neuhold, das ist angesichts der kurzen Vorbereitungszeit eine Menge. Allerdings ist sein Programm mit Ausnahme des selten gespielten „Totentanzes“ von Franz Liszt mäßig interessant. Es hangelt sich mit Werken von Gustav Mahler, Zoltan Kodaly, Franz Liszt, Erwin Schulhoff und Béla Bartok in einem großen Bogen um die Jahrhundertwende. Gespannt sein darf man immerhin auf die Interpretation von Joseph Haydns Cellokonzert im ersten Block.

Der Repertoire-Rahmen der ganzen Reihe ist eng, das jüngste Werk ist 1947, das älteste 1761 geschrieben. Doch auch wenn so aussieht, zeitgenössische Musik wird hier nur scheinbar überdeutlich repräsentiert. Der inflationär gebrauchte Begriff „Klassische Moderne“ steht hier für einen Reigen gut und weniger gut bekannter Werke der neoklassizistischen Moderne, das ist eine Moderne, die nicht weh tut. Die Komponisten, die in diesem Jahrhundert die Moderne begründet haben, nämlich die Komponisten der Wiener Schule, Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern, fehlen. Zufall, oder liegt es daran, daß diese Werke ästhetisch immer noch zu radikal sind und das meiste, was heute entsteht, künstlerisch überholen?

Stattdessen im Bremer Programm: Werke von Paul Hindemith, Dmitrij Schostakowitsch, Richard Strauss, Claude Debussy, Béla Bartok. Und auch urige zweitrangige Kaliber wie Maurice Duruflé, Dmitrij Kabalevsky und Ernest Chausson; aber vielleicht entpuppt sich ja dessen fünfte Sinfonie als eine der schönsten französischen überhaupt, wie das Vorwort behauptet. Es dirigieren alte und neue Bekannte, die handfestes Niveau, aber keine Sensationen garantieren: Christoph Prick, Hans Wallat, Hans Graf, Michael Jurowski, Ian Warson, Peter Schneider, Mario Venzoga, Jean-Bernard Pommier und last but not least Marcello Viotti. Warum das nach seiner zweijährigen Abwesenheit in Bremen sein mußte, steht für mich in den Sternen. Gute SolistInnen ergänzen das personelle Angebot.

Insgesamt werden 36 Werke gespielt, davon elf aus der sogenannten Wiener Klassik, also von Haydn, Mozart, Beethoven: Programmraritäten sind hier nur die Wiedergaben dreier Solokonzertarien für Sopran und Orchester von Mozart, die sonst nie zu hören sind. Zwölf Werke sind im 19. Jahrhundert geschrieben: Mit Mendelssohn (e-Moll), Liszt (A-Dur) und Chopin (f-Moll) erklingen Hits der Solokonzertliteratur. Bleiben 13 Werke für die sogenannte gemäßigte Moderne; auch hier die Renner. Béla Bartoks „Konzert für Orchester“, sein „Wunderbarer Mandarin“, oder auch Strawinskys „Le Sacre du Printemps“.

Die acht Kammerkonzerte bieten hohes Interpretationsniveau: Die bekannten Namen des Hagen-, Keller-, Juilliard-, Cherubini-, und Melos-Quartettes werden das Publikum anziehen.

Das Cherubini-Quartett tritt zusammen mit der Bratscherin Tabea Zimmermann auf. Hier zählt das Streichquintett bei den Freunden der Kammermusikliteratur zu den „Sahnestücken“. Freuen kann man sich auch auf ein Trio mit Horn, Violine und Klavier – mit Johannes Brahms' wunderbarem Horn-Trio im Zentrum –, eine Mon Chérie-Kirsche im Programm der Philharmonischen Gesellschaft.

Ute Schalz-Laurenze

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