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Welche Gewalt? Von Mathias Bröckers

„Friedliebende Länder müssen sich zusammenschließen, um mit Gewalt gegen aggressive Diktaturen vorzugehen. Demokratische Institutionen müssen geschützt werden, notfalls mit Gewalt.“ Aldous Huxley hat empfohlen, Sätze wie diese stets in eine Sprache zu übersetzen, die die konkreten Realitäten der zeitgenössischen Kriegsführung wiedergibt. Etwa so:

„Friedliebende Länder müssen sich zusammenschließen, um thermische, hochexplosive und chemische Kampfstoffe auf die Einwohner von Ländern abzuwerfen, die von aggressiven Diktaturen beherrscht werden. Sie müssen das tun und sich natürlich mit den Konsequenzen abfinden, um den Frieden und die demokratischen Institutionen zu bewahren. Unverzüglich stellen sich zwei Fragen: Ist es wahrscheinlich, daß der Frieden durch einen Prozeß gesichert werden kann, der darauf abzielt, das geordnete Leben unserer hochkomplexen Gesellschaft aufs nackte Chaos zu reduzieren? Und zweitens: Ist es wahrscheinlich, daß im Zustand des Chaos demokratische Institutionen blühen werden? Erneut fallen die Antworten negativ aus. Mit der abstrakten Benutzung des Wortes ,Gewalt‘ anstelle von Ausdrücken, die zumindest den Versuch unternehmen, die Realitäten des Krieges in seiner heutigen Form zu beschreiben, verbergen die Prediger kollektiver Sicherheit durch militärische Zusammenarbeit vor sich und anderen nicht nur die Fakten, sondern auch die Konsequenzen ihrer Lieblingspolitik. Der Versuch, Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie durch ,Gewalt‘ zu sichern, scheint ganz vernünftig zu sein, bis wir (...) gewahr werden, daß dieses unverbindliche Wort (...) für Aktivitäten einsteht, die fast unvermeidlich auf das soziale Chaos hinauslaufen; und zweitens, daß die Konsequenzen von sozialem Chaos Ungerechtigkeit, ständiger Krieg und Gewaltherrschaft sind (...). Die Alternativen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, scheinen klar genug. Entweder erfinden wir eine neue Technik zur Regelung internationaler Auseinandersetzungen und setzen sie gewissenhaft ein; oder wir klammern uns an die alte Technik und zerstören uns selbst, indem wir ,Gewalt‘ einsetzen (das heißt thermische, hochexplosive und chemische Kampfstoffe). Diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, das Wesen der zweiten Alternative mit einer unangemessenen Sprache bemänteln, leisten der Welt einen denkbar schlechten Dienst. Sie führen uns in eine der Versuchungen, der für uns am schwersten Widerstand zu leisten ist – die Versuchung, der Realität zu entfliehen (...).“

Huxleys Überlegungen von 1937 sind nicht nur wegen des Hiroshima-Gedenktags aktuell, sie beleuchten ebenso die Diskussion um den Bosnienkrieg. Seit auf grünen Sofas fast soviel FeldherrInnen hocken wie ansonsten Fußballbundestrainer vor den Fernsehern, ist die Mahnung nach Genauigkeit der Sprache besonders wichtig. Welche konkreten Aktionen bemäntelt der Begriff „militärische Intervention“? Soll Serbien so platt gemacht werden wie Dresden? Nein? Welche Kampfmittel sollen eingesetzt werden? Was kommt, wenn sie eingesetzt wurden? Solange diese Punkte nicht konkret benannt werden, solange bleibt jeder Ruf nach „Intervention“ eine Flucht aus der Realität ...

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