Religionsunterricht endete vor 1933

■ Oldenburger Studie: Lehrer liefen der allzu konservativen Kirche vor 1933 auch ohne Druck der Nazis davon

Oldenburg Die rund 1.000 Religionslehrer an Volksschulen im ehemaligen Land Oldenburg sind der evangelischen Kirche einer Untersuchung zufolge nicht allein unter dem Druck der Nationalsozialisten nach deren Machtübernahme von der Fahne gegangen. Auch ein zuvor von der Kirche ausgeübter konservativer Druck auf die Pädagogen ließ sie in Scharen davonlaufen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Oldenburger Religionspädagogen und Schulhistorikers Helmut Schirmer. Die am Fachbereich Sozialwissenschaften der Oldenburger Universität erstellte Arbeit wurde am Dienstag von der Kirchenleitung und vom Autor der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie zeigt nach den Worten des Oldenburger Religionswissenschaftlers Professor Günther Roth, daß die Lehrer etwas lehren sollten, „woran sie selbst nicht mehr glaubten“.

Obwohl die Kirche in der Studie „nicht gut wegkommt“ habe sie das kritische Werk auch finanziell unterstützt, betonte der für Schulfragen zuständige Oberkirchenrat Dietmar Pohlmann. Der historische Rückblick mache deutlich, daß die Kirche versucht habe, „traditionelles Katechismus-Lerngut“ gegen liberale Reformansätze in der Pädagogik durchzusetzen. Damit habe sie zum Exodus der Lehrer beigetragen. Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen praktiziere die Kirche heute „Bildungsmitveranwortung“ anstelle „geistlicher Aufsicht“ in den Schulen, betonte Pohlmann. Die ehemals falsche Politik der evangelischen Kirche finde in der Gegenwart ihre Parallele in der Politik des Vatikans, der sich mit konservativen Vorgaben gegen einen „Traditionsabbruch“ zu stemmen veruche.

Der Studie zufolge hatte 1938 ein Drittel der evangelischen Volksschullehrer im Oldenburger Land den Austritt aus der Kirche erklärt. Das seien fünf Prozent mehr Kirchenaustritte gewesen als unter Mitgliedern der SS. Im Zuge einer Kampagne der Nationalsozialisten im Jahr 1936 zur „Entkonfessionalisierung“ der Schulen legte annähernd die Hälfte der Lehrer den Religionsunterricht nieder. Damit sei der evangelisch-christliche Unterricht im Oldenburgischen bereits vor den Pogromen des Jahres 1938 faktisch vom Lehrplan der Schulen verschwunden gewesen.

dpa

Helmut Schirmer, „Volksschullehrer zwischen Kreuz und Hakenkreuz“, Isensee-Verlag Oldenburg, 1995, 330 Seiten, DM 28.-“