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Vom grünen Realo zum oliven Fundi

■ betr: „Grüner Abschied von Ge waltfreiheit“, etc. (Fischer-Brief), taz vom 2. 8. 95

[...] „Grüner Abschied von Gewaltfreiheit“. Interessant, welche Strukturen von der taz-Nachrichtenredaktion mittlerweile den Grünen unterstellt werden! Der Parteitag, BDK genannt, hat offenbar nur noch zu vollziehen, was in Bonn vom Chef diktiert worden ist. Kann sein, daß die taz sich da täuscht. Und das könnte beispielsweise an der Qualität der hochgelobten „Analyse“ Fischers liegen. [...] Hier wird mit Worten versucht, was Fotos und Filme schon seit langem erreichen sollen: Mitleid erwecken, Tränendrüsen beschäftigen und Gehirnströme ausschalten. Denn endlich muß zugeschlagen werden, da wir „das“ nicht mehr mitansehen können.

[...] Fischer tut gerade so, als sei die Strategie, die in Bosnien Schiffbruch erleidet, von den Grünen erfunden. Und diese seien deshalb aufgefordert, sich eine neue auszudenken. Darauf haben die USA, Großbritannien, Frankreich und Rußland gerade gewartet: daß ihnen jetzt endlich die Grünen militärisch beispringen. Sie würden bestimmt exakt tun, was Fischer vorschlägt. Bloß – und dies kommt zur analytischen Misere Fischers hinzu: Leider schlägt er überhaupt nichts vor! Was soll auch rauskommen, wenn einer den Krieg so zu erklären versucht: „brutal rücksichtslose Skrupellosigkeit“? Wo Begriffe fehlen, stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein. Aber dafür eine ganze taz-Seite? Ich weiß nicht. Richard Kelber, Dortmund

Nur zu, Joschka Fischer, machtgeil, wie alle, die zu oft in Bonn gegessen haben. Dann an die Spitze der internationalen Brigaden! Dany C.-B. gleich mitnehmen.

Krötenschlucken ist doch eigentlich gar nicht Gourmet-Art. Politik machen in dieser vergurkten Situation muß heißen:

Deserteure animieren, einladen, auffordern, sicher unterbringen. Flüchtlinge willkommen heißen! Solidaritätszuschlag für Menschlichkeit und Frieden. Kein Geld, keine Waffen, keine Soldaten für Krieg. Auch wenn die Grünen nicht regierungsfähig werden. Solche Regierung haben wir ja schon. Gerda Fellberg, Hamburg

[...] Herr Fischer, ich bin genauso betroffen wie Sie, wenn ich mir täglich die Nachrichten anhöre und die Zeitungen lese, ich weine um Bosnien, aber ich kann Ihre imperialistische Zielsetzung nicht nachvollziehen. Wenn eine nicht- militärische Lösung in Bosnien nicht möglich ist – was ich immer noch nicht glaube –, dann sollten Sie doch bitte Ihren eventuellen neuen Koalitionspartner aus Oggersheim bitten, eine einseitige Aufhebung des Waffenembargos zu unterstützen. Sie sprachen vom Recht auf Notwehr, und da hatten Sie recht, aber sorgen Sie bitte dafür, daß die bosnischen Muslime dieses Recht auch erhalten und nicht von der Nato geschützt und verteidigt und bevormundet werden, sondern sich selbst verteidigen können. Ja, die Bundesregierung könnte hier endlich mal Waffen für einen guten Zweck liefern, nachdem sie so viele Waffen an Diktaturen verschleudert hat.

Herr Fischer, verhalten Sie sich wie früher und nicht wie ein machtgeiler Kriegstreiber. [...] Kerstin Witt, Berlin

[...] Ich frage mich: Welcher Fortschritt liegt darin, wenn sich die gleichen Nationen, die in den vergangenen Jahren in der Bosnienrepublik völlig divergierenden nationalen Interessen huldigten, diesen nun statt auf diplomatischem auf militärischem Parkett nachgehen? Nichts hat sich an den unterschiedlichen Einschätzungen über die Ziele im Ex-Jugoslawien-Konflikt geändert. Militärische Interventionen können die Lage unter solchen Vorzeichen nur verschlimmern.

[...] Die erneute Positionsbegradigung, die Fischer von den Grünen erwartet, bezeugt den Weg, auf den die Grünen von Fischer, Vollmer und Umfeld gezwungen werden – und auf den sich die Grünen auch bereitwillig locken lassen: Auf den Weg zur Macht um jeden Preis. Ich wüßte keine grüne Position, die Fischer in den letzten Jahren nicht geräumt hätte. Wo ist überhaupt noch die Reform bei dieser Art von „Reformpolitik“? Ich bin mir sicher: In fünf Jahren wird Vizekanzler Fischer auch die Bioethik-Konvention gutheißen und sich für Gentechnik stark machen. Und wenn es sein muß, auch dem Bau neuer Reaktorlinien aufgeschlossen gegenüberstehen. Wilfried Schweitz, Hannover

[...] Der Führungsstab einer Schnellen Eingreiftruppe ist kein Zauberstab, der Wünsche erfüllt oder Wunder vollbringt. Den militärischen Copperfield gibt es nicht. Da kann der grüne Ober-Realo noch so oft zum oliven Fundi werden.

Der Krieg in Bosnien ist von außen allein weder politisch noch militärisch zu beenden. (Was nicht heißt, daß mensch nichts tun kann oder tun muß). Der entscheidende Unterschied zwischen pazifistischer und militärischer Ohnmacht: Militärische Hilflosigkeit hält Joschka Fischer für regierungsfähig. Thorsten Gromes, Mönchengladbach

[...] Die Bundesregierung zu unterstützen, die glaubt, Außenpolitik müsse sich in militärischer Stärke beweisen, führt die Grünen weg vom Ziel der Regierungsfähigkeit. Um diesem Ziel näherzukommen, müßten sie sich in ihrem Programm zunächst zur militärischen Verteidigung des eigenen Staats bekennen und für ein Bündnis eintreten, in dem sich alle europäischen Staaten glaubhaft gegenseitigen militärischen Beistand im Verteidigungsfall zusichern.

Militärische Interventionen außerhalb eines definierten Bündnisses sind eine andere Sache. Hier sind die möglichen Opfer und politischen Folgen noch sorgfältiger zu kalkulieren; das ist kein Zynismus. Wenn abzusehen ist, daß die Bevölkerungsmehrheit bald nicht mehr zustimmt, sind schon erste finanzielle und menschliche Opfer einer Intervention sinnlos. Im Falle Bosniens ist nichts mehr kalkulierbar – in Joschkas Worten ein Sumpf. Verantwortungslos reden alle, ob von der CSU oder den Grünen, die den Eindruck zu vermitteln versuchen, mit Militärgewalt sei dem ehemaligen Jugoslawien der Frieden zu bescheren. Dietrich Jahn, Hannover

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