■ Die Autoschmiede VW will den Samstag zur Regelarbeitszeit machen und den Sonntag anknabbern. Die Gewerkschaft wehrt sich - noch. Gestern begann der Clinch um den neuen Tarifvertrag: Der Angriff aufs Wochenende
Die Autoschmiede VW will den Samstag zur Regelarbeitszeit machen und den Sonntag anknabbern. Die Gewerkschaft wehrt sich – noch. Gestern begann der Clinch um den neuen Tarifvertrag
Der Angriff aufs Wochenende
„Die wichtigsten Tarifverhandlungen, die es jemals bei VW gab“, sind es für den IG-Metall-Hauptvorstand. Und auch Bezirksleiter Jürgen Peters, der Verhandlungsführer vor Ort, erwartet einen „langwierigen und schwierigen“ Clinch. Schließlich steht diesmal gleich dreierlei auf dem Programm: Zunächst soll das auf zwei Jahre begrenzte Tarifabkommen über die Viertagewoche unbefristet fortgeschrieben werden. Auch 1996 sollen damit bei VW betriebsbedingte Kündigungen tabu sein, die 28,8-Stunden-Woche soll weiter gelten. Zweitens wollen die VW-Arbeiter diesmal ordentlich Geld auf dem Konto sehen, „einen kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen“ (Peters). Und die Arbeitgeberseite hat – drittens – im Gegenzug das Thema Flexibilisierung ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt.
Genauer: Der VW-Vorstand will an den Samstag ran, bläst zum Angriff auf das freie Wochenende. Der Samstag soll ein „ganz normaler Arbeistag“ werden. So will es VW-Chef Ferdinand Piäch, und so hat es dessen politisches Echo, Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD), gefordert.
Den Vorstoß auf den freien Samstag begründet Piech mit saisonalen Schwankungen. Die Autos sollen dann gebaut werden, „wenn man sie verkaufen kann“. Im Frühjahr, wenn 50 Prozent mehr Autos abgesetzt werden, wünscht sich Piäch für die 100.000 Volfswagen-Beschäftigten die Sechstagewoche. Im Herbst könne dann nur drei Tage pro Woche gearbeitet werden: die totale Anpassung an die Autokonjunktur.
Aber Piäch liegt im Trend. In den Werken des Reifenherstellers Pirelli wird ab Oktober an allen sieben Wochentagen gearbeitet. Die IG Chemie hat's abgenickt. Auch das Versandhaus Neckermann hat für seine Bestellannahme in Darmstadt die Sonntagsarbeit beantragt.
Gestern morgen vor Beginn der Tarifrunde gab sich IG-Metaller Peters noch kämpferisch: „Wir werden niemals den Samstag als Regelarbeitstag verabreden, selbst wenn die mich erwürgen.“ Gleichwohl will Peters und seine IG Metall den Flexibilisierungsforderungen von VW entgegenkommen: „Es muß eine Kompromißlinie gefunden werden.“ In den Hoch-Zeiten der Automobilkonjunktur seien bisher schon an bis zu 16 Samstagen im Jahr bei VW Sonderschichten gefahren worden.
Auf jeden Fall will Peters um den 50prozentigen Lohnzuschlag für den Samstag kämpfen. Und auch künftig soll am sechsten Tag der Woche nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betriebsrats gearbeitet werden. Ohne den Zuschlag und ohne die Mitbestimmung würde künftig „die Autoproduktion schon von vorherein für Montag bis Samstag geplant“, befürchtet Peters. „Dann wird VW alle Investitionen in Produktionskapazitäten schon von vornherein auf die Sechstagewoche ausrichten.“ Damit wiederum würden die Reparatur- und Umrüstschichten, die samstags laufen, automatisch auf den Sonntag fallen. Und auch für Sonderschichten bliebe nur noch der „Tag des Herrn“: der Einstieg in die Siebentagewoche.
Allerdings will die IG Metall der Gegenseite eben auch eine saftige Lohnerhöhung und vor allem die erneute Beschäftigunsgarantie abringen, die Fortsetzung des VW- Modells und dazu die Übernahme aller Auszubildenden. Noch heute lobt Peters den vereinbarten Entlassungsschutz als „Neuland“.
Wie dringend notwendig die Einführung der Viertagewoche war, belegt die VW-Arbeitszeitstatistik: Zwischen 29,2 und 32,6 Wochenstunden haben die VW-Arbeiter 1994 im Schnitt an ihrer Arbeitsplätzen verbracht. Ohne die radikale Arbeitszeitverkürzung hätten tatsächlich über 20.000 VW- Beschäftigte ihren Job verloren. Allerdings hat diese Arbeitszeitverkürzung auch zu einem enormen Kuddelmuddel geführt: Mehr als 200 verschiedene Schichtmodelle kennt VW heute, die wenigsten arbeiten tatsächlich vier Tage. Manche kommen sechs Stunden täglich, andere haben jede vierte Woche frei.
In Sachen Beschäftigungsgarantie hat der VW-Vorstand bereits Entgegenkommem signalisiert. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail. Die Gewerkschaft will bei der Arbeitszeit der außertariflichen Angestellten mitreden, die bisher noch eine 40-Stunden-Woche haben.
Schließlich liegt da noch die IG- Metall-Forderung nach 6 Prozent mehr Lohn auf dem Tisch. Sie liegt den VW-Arbeitern noch mehr als der freie Samstag am Herzen. Immerhin hatte das neue VW-Modell Ihnen eine Lohnkürzung von schätzungsweise 18 Prozent beschert.
Die Samstagsarbeit im Frühjahr scheint unter den VW-Beschäftigten dagegen sogar Fans zu finden. Vielleicht könnten sie dann im nächsten heißen Sommer um so eher zum Baden an die Teiche. Jürgen Voges
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