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Trolle träumen Sommernacht

■ „Volle Kraft“ voraus: Oldenburger Kulturetage inszeniert Shakespeares „Sommernachtstraum“

„Irgendwo da oben im Haus müßtest Du den Regisseur finden.“ Die Suche gestaltet sich schwierig. Hinter der ersten Tür: ein riesiger Haufen Pappkartons. Die nächsten Klinken geben überhaupt nicht nach. Dann, auf der nächsten Etage, regt sich Leben: Arbeitsanweisungen schwirren durch die Gänge, das Surren des Schraubbohrers zeigt, hier wird gewuselt und gewerkelt. In der Oldenburger Kulturetage laufen die Vorbereitungen für die Sommernachtstraum-Inszenierung im Schloßgarten auf Hochtouren.

Plötzlich eine Erscheinung: Durch die offene Tür blitzen die Umrisse einer nackten Frau: honigmelonenreife Brüste und ein überdimensionierter Hintern. Durch die Zaubermacht der Kostümwerkstatt verwandelt sich die Schauspielerin in die futuristische Variante eines Urweibs, wie Russ Meyer oder Robert Crumb es nicht übertriebener hätten entwerfen können. Traumfiguren in Theaterkostümen. Um sie herum drängeln sich andere Fabelwesen zur Anprobe.

Drei Wochen vor der Premiere stecken bei der Anprobe in der Kostümwerkstatt der Kulturetage Oldenburg die Schauspieler in äußerst surrealen Phantasiekostümen. Shakespeares „Sommernachtstraum“ hat man sich vorgenommen. Der Anlaß: die 650-Jahrfeier der Stadt Oldenburg. „Wenn endlich einmal Geld in den Töpfen ist, das kann man sich einfach nicht entgehen lassen“, erläutert Bernt Wach von der Kulturetage das Engagement. 100.000 Mark hat man für das Projekt ergattern können, das ist für die arme Kulturetage eine verführerisch hohe Summe. „Daß wir den Sommernachtstraum im Park machen würden, ergab sich irgendwie fast von selbst.„ Der Schloßpark mit seinem uralten Baumbestand gilt als einer der romantischsten in Norddeutschland.

Aber auch wenn die Uraufführung von Shakespeares beliebtem Zauber- und Verwechslungsspiel fast auf den Tag genau 400 Jahre her ist, mit einer historisierenden Inszenierung eng am elisabethanischen Vorbild hat man in Oldenburg nichts am Hut. Und schon jetzt ist abzusehen, daß dieser Sommernachtstraum nichts mit den harmlosen Veranstaltungen gemein hat, die unter dem Markennamen „Sommertheater“ während der Ferien- und Reisezeit nördlich und südlich der Weinstraße für Unterhaltung sorgen.

„Jetzt zeigt, was ihr könnt. Volle Kraft!“ Regisseur Dieter Ockenfels aus der Schweiz hat seine eigene Auffassung von sommerlichem Theater. Der Projekt-Charakter der Oldenburger Inszenierung kommt ihm da gelegen. Mittlerweile ist das kleine Ensemble gewaltig angewachsen: 24 Schauspieler sind beteiligt. Neben sechs Hausschaupielern nehmen vier Künstler aus Mülheim an der Ruhr und auch zwei Gäste aus Albanien teil.

Man hatte sich beim letzten „Prisma2-Festival“ kennengelernt, einem Osteuropa-Projekt, bei dem auch Künstler aus verfeindeten Kriegsregionen miteinander ins Gespräch kamen. Zu ihnen gesellen sich 14 Statisten. Aber neben denen, die man im Rampenlicht auf der Bühne sieht, prägen den Sommernachtstraum entscheidend die Theaterleute, die im Dunkel der Kulissen arbeiten: Licht, Ton und Kostümwerkstatt.

Regisseur Ockenfels kommt aus der Straßentheaterszene und nennt den Shakespeare im Schloßgarten schlichtweg „open air“. Und „open air“ ist für ihn keine Verlegenheitslösung bei fehlendem Saal. Der Star des Oldenburger Sommernachtstraums, soviel ist jetzt schon klar, wird weder der Autor William Shakespeare sein, noch eine seiner Hauptfiguren.

Der Glanz des Sommernachtstraums beleuchtet den Schloßgarten Oldenburgs. 150 Jahre alte Ulmen und Rhododendren werden zusehen, wie vor den nächsten Blättern statt Kaninchen und Spatzen Fabelwesen mit Shakespearschen Texten spielen. Aber wie hängt man den roten Vorhang zwischen uralten Bäumen auf? Kalle Krause ist seit sieben Jahren bei der Kulturetage und hat schon Bahnhöfe und Lagerhallen in Bühnen verwandelt. Aber der alte Schloßpark scheint auch ihm eine besondere Herausforderung. „Die Oldenburger kennen ihren Park einfach sehr gut, viele gehen hier spazieren. Um die verzauberte Atmosphäre zu schaffen, müssen wir Überraschungen einbauen.“ Das hört sich noch harmlos an. Die Wahrheit ist, Kalle Krause setzt die ganze Theatermaschinerie in Gang und betätigt sich mal eben als Landschaftsgestalter: der Garten wird uminszeniert. Taucher werden im Seerosenteich ausgesetzt, neue Wege angelegt, Brücken gebaut und eine riesige, sanft gebogene Treppe für die Bühne zwischen den romantischsten Baumgruppen abgesenkt. Der Platz fand sich wie von selbst. „Hier mach ich immer Tai Chi. Auf dem Baum dahinten sitzt dann ein Raubvogel, der sein Gewölle fallen läßt. Das ist hier die schönste Ecke im Park.“

Die Zusammenarbeit mit dem Gartenbauamt nötigt den Theaterleuten Respekt ab. „Sonst ist es immer irrsinnig schwierig, etwas zu verändern. Im Museum durfte man kaum das Licht verändern, um dort zu spielen. Hier wurde für uns mittlerweile der Stromanschluß ausgegraben und das Kabel gleich um ein paar hundert Meter verlegt.“

Eigene Weg geht man auch bei der Regie. Shakespeares Stück um die Verwirrungen von drei Liebespaaren aus der höfischen Welt Athens und Zauberern und Elfen spielt eh in einem imaginierten Park. Liebestropfen und Eifersucht bringen die Welt der drei Paare durcheinander, seit Elfenkönig Oberon und Gattin Titania miteinander in Streit gerieten.

Am Ende aber löst sich der böse Zauber auf, und in neuen Kombinationen vereinen sich die sechs zu drei Hochzeitspaaren. Und wenn sie nicht gestorben sind... Die Shakespeare-Interpretation von Dieter Ockenfels kümmert sich kaum um die modischen Tendenzen im deutschen Regietheater; postmoderne Lesarten etwa, die den Text gegen den Strich bürsten interessieren ihn kaum. „Ironie ist doch die schlimmste Art des Nichtkönnens.“ Der distanzierte Blick sei auch gar nicht nötig, schließlich gäbe der alte Text genügend her. „Shakespeare führt uns doch die ganze Zeit an der Nase herum, indem er zeigt, daß Theseus solch ein Obermacho ist.“ Umsetzen läßt sich das am besten, indem durch die Erfindung von Bouffonen- Figuren der elisabethanische Text einen skurrile Zug bekommt.

Bouffonen sind Narrenfiguren aus Fruchtbarkeitsritualen, die, halb Mensch halb Tier, noch in der Schweizerischen Fastnacht ihr Unwesen treiben. In Oldenburg zeigen ihre nordischen Geschwister Flexibilität. „Der Buffone wird von dem Schauspieler selbst entwickelt, er muß ihn zur Welt bringen und der Figur seine Eigenheiten mitgeben, sie verkörpern.“ Manche Schauspieler schleppen einen Klumpfuß mit sich herum, andere leiden unter stolz geschwellter Brust und dritte trippeln ganz gekrümmt vor lauter Unterwürfigkeit.

„In der Schweiz sind die Buffonen oft fast schwarz, dunkel und massig wie die Schweizer Berge.“ Auch die Oldenburger Bouffone knüpfen an lang zurückliegende Traum- und Alptraumwelten an, haben ihren Ursprung in Fruchtbarkeitsverkörperungen. Wenn im Film Batman durch die Phantasiearchitektur der Metropolis flattert, strolchen hier buntschillernde Fabelwesen durch Shakespeares Sommernachtstraum.

Sichtbar aber wird die ganze Abenteuerlichkeit dieser Trollgestalten erst durch die Kostüme. „Ja, man muß der üppigen Natur im Schloßgarten schon etwas entgegensetzen, damit die Wirkung des Fabelhaften im Grünen rüberkommt, das dunkle Grün schluckt ja unheimlich“, weiß die Kostümbildnerin ihre Übertreibungen zu rechtfertigen. Oberon mit grellblauem Dinosaurierschwanz, Hermoinia eingeschnürt in einen langen rotes Schlauch, der sie zu japanischen Trippelschritten zwingt und ein Puck mit Oberschenkeln, so anabolika-geschwollen, daß Arnold Schwarzenegger vor Neid grün um die Nase würde. Angefangen hat Kerstin Lackmann ihre Ausbildung als Damenschneiderin an der Modeschule Frankfurt. Mittlerweile hat die Kostümbildnerin ihre Nähnadel durch alle möglichen Materialien gejagt, hat Zirkuskostüme für Roncalli und Krone entworfen, aber auch Filmproduktionen ausgestattet, wie Peter Dörflers „Raumfahrer“.

Das kommt ihr beim Sommernachtstraum zugute. Die Rahmenbedingungen machen die Arbeit mal wieder zur Bewährungsprobe: wenig Geld und noch viel weniger Zeit. Die Figur des Lysander ist mittlerweile zu einem goldschillernden Käfer geworden, ein rollendes Michelin-Männchen, das meterdicke Schaumstoffreifen um den Bauch spazierenträgt. „Im Staatstheater sitzten sie an solchen Kostümen gut einen Monat. Hier machen wir 37 Kostüme in zwei Monaten, mit viel weniger Geld und nur drei Näherinnen.“

Mittlerweile steuert die Produktion ihrem Höhepunkt zu, der Premierenabend gerät in Sichtweite. Jetzt, wo die Probengewänder durch die endgültigen Premierenkostüme ersetzt werden müssen, häufen sich die Nachtschichten. Oft wird das Licht in der Kostümwerkstatt nicht vor Morgengrauen ausgeschaltet. Und dann huscht Titania mit den Pappmascheebrüsten noch einmal durch die Gänge, fängt das fahle Mondlicht auf ihrem massigen Leib, um sich dann wieder im Kostümfundus zu verstecken. Der Öffentlichkeit wird sie sich erst am 30. August zeigen, dann hat der Sommernachtstraum Premiere im Schloßpark.

Susanne Raubold

Vorstellungen: Mittwoch, 30.8. bis Sonntag, 3.9. 21 Uhr im Schloßgarten. Vorverkauf: Kulturetage, 0441-924800.

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