: Weltwunder im Würgegriff
Mit Sklavenarbeit und Zwangsumsiedlungen bereiten sich die Generäle in Birma auf das „Visit Myanmar Year 1996“ vor. Im Tourismus herrscht trotz Diktatur und Bürgerkrieg Goldgräberstimmung ■ Von Volker Klinkmüller
Das hatten sich die Generäle wohl ganz anders vorgestellt: Eigentlich waren es Berichte über die neuen Reiseerleichterungen, aus dem Boden sprießende Luxushotels, die vielen kleinen Weltwunder, den magischen Charme ihres noch weitgehend unberührten Landes und über die unglaublichen Urlaubsmöglichkeiten vom Skifahren auf schneebedeckten Hängen über Trekking-Touren in intakten Regenwäldern bis zum Baden an menschenleeren Stränden, mit denen sie auf das „Visit Myanmar Year 1996“ aufmerksam machen wollten. Doch nun sind es einmal mehr Horrormeldungen über Menschenrechtsverletzungen in Myanmar, die in internationalen Medien ihren Niederschlag finden. Denn es ist durchgesickert, daß sich die Militärjunta im früheren Birma mit Sklavenarbeit und Zwangsumsiedlungen auf den erhofften Touristenansturm vorbereitet. Aber schließlich kann es ja der Weltöffentlichkeit – trotz aller Abgeschiedenheit Myanmars – kaum verborgen bleiben, wenn mehrere hunderttausend Menschen unter brutalsten Bedingungen zum Ausbau von Straßen, Eisenbahnlinien, Flughäfen oder Staudämmen und zum Verlassen ihrer Behausungen gezwungen werden.
So, wie beispielsweise in der alten Königsstadt Mandalay (rund 600 Kilometer nördlich von Yangon). Dort mußten Tausende Strafgefangene in Ketten, aber nach glaubwürdigen Augenzeugenberichten auch Bauern, Mönche, Kinder, schwangere Frauen und Greise, den Königspalast restaurieren, den Stadtgraben reinigen sowie Straßen für Touristenbusse sanieren und verbreitern. Besondere Abscheu aber erregte ein mit versteckter Kamera gedrehter BBC-Bericht über den Bau einer 170 Kilometer langen Eisenbahnlinie zwischen Ye und Tavoy im Süden des Landes. Die Umstände erinnern in grausiger Weise an den Bau der „Deathway Railway“ über den Payathonzu- Paß von Thailand nach Birma, für den die japanischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg rund 15.000 Menschenleben opferten. Nach Aussage der Einheimischen marschiert die Armee für den Bau der neuen Todesbahn in umliegende Dörfer ein, zählt die Häuser und sucht aus jeder Familie mit Waffengewalt einen Mann zur Zwangsarbeit aus. Wird er krank, müssen Frau und Kinder für ihn einspringen. Bei Verweigerung des „öffentlichen Dienstes am Vaterland“ drohen Geld-, Haft- oder Prügelstrafen. Soldaten sollen sogar schon ganze Dörfer gebrandschatzt haben. Um sich vor dieser Willkür und der Pflicht als „patriotische Volontäre“ zu retten, sind bereits mehrere tausend Myanmaren nach Thailand geflohen.
Die Arbeit in den malariaverseuchten Dschungelgebieten muß mit einfachstem Gerät und ohne Maschinen verrichtet werden. Die zwangsverpflichteten Dorfbewohner können weder mit Lohn und Verpflegung noch mit medizinischer Versorgung rechnen. Hunger, Malaria und Cholera sind ebenso an der Tagesordnung wie Folter und Vergewaltigung, einfaches Verschwindenlassen von Arbeitern und Massenerschießungen. Das Regime in Yangon streitet die Vorwürfe, die inzwischen auch schon bei der UNO aktenkundig geworden sind, schlichtweg ab. Es verteidigt die Sklavenarbeit als freiwillige Aktion, jahrhundertealte Tradition, landesübliche Steuereintreibung oder sogar als Bestandteil der buddhistischen Kultur. Wie menschenverachtend die 22 Generäle des „Slorc“ (Rat für die Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung) mit ihren 44 Millionen Untertanen umzugehen pflegen, hat sich aber auch vor wenigen Wochen im Bürgerkrieg mit den rebellischen Minderheiten der Grenzregionen gezeigt: Die Regierungstruppen zwangen Angehörige der Bergstämme zu Trägerdiensten oder trieben sie als menschliche Schutzschilde und lebende Minensucher vor sich her.
Seit dem blutig gescheiterten Volksaufstand 1988 wird den Myanmaren die Selbstbestimmung verweigert, das Volk mit einem brutalen Unterdrückungsapparat in Schach gehalten. Um sich zu finanzieren, verschachert das Regime die Reichtümer des Landes – Tropenholz, Fischereirechte, Erdgas, Edelsteine, Wolfram, sogar Drogen und junge Frauen. In Zukunft sollen – außer dem im Februar mit Thailand abgeschlossenen 30 Milliarden Mark volumigen Erdgas-Deal – vor allem Touristen-Dollars helfen, die Militärdiktatur zu stabilisieren. Der für Fremdenverkehr zuständige General Kyaw Ba hat großspurige Pläne, er erwartet für das bevorstehende „Visit Myanmar Year“ 500.000 Besucher. Bisher wurden Touristen jedoch vor allem durch die völlig desolate Infrastruktur, Reisebeschränkungen, Zwangsumtausch, staatliche Wucherpreise, Bespitzelungen und schikanöse Einreiseformalitäten abgeschreckt. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn das größte Land Südostasiens nicht gerade vom Massentourismus überlaufen wurde: Offiziellen Statistiken zufolge warfen 1994 erst rund 60.000 Ausländer (davon etwa ein Drittel Geschäftsleute) einen Blick hinter den Bambusvorhang. In den Jahren zuvor waren es sogar nur um die 20.000 gewesen.
Obwohl den Einheimischen Gespräche mit Ausländern noch immer untersagt und von den Behörden mißtrauisch beäugt werden, lassen es sich vor allem die unterdrückten Mönche und oppositionellen Studenten nicht nehmen, Touristen hinter vorgehaltener Hand über die „besonderen Sehenswürdigkeiten“ ihres Landes aufzuklären. In der Hauptstadt Yangon gehören zum Beispiel die klotzigen Fußgängerbrücken und stabilen Eisenzäune dazu. Sie sollen der Armee beim nächsten Volksaufstand gute Schußpositionen und taktische Vorteile verschaffen. Oder auch – nicht weit von der weltberühmten Shwedagon-Pagode – die in der University Avenue hinter Bretterzaun und Büschen verborgene Villa Nr. 56. In diesem Anwesen, bis vor kurzem noch von „unauffälligen Spitzeln“ mit westlich bedruckten T-Shirts und traditionellen Longyi- Wickelröcken umlagert, stand in den vergangenen sechs Jahren Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi unter Hausarrest. Bei den ersten freien Wahlen 1990 hatte ihre „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) mit 80 Prozent gesiegt, was von den Generälen beharrlich ignoriert wird. Damit Myanmar im Wettlauf um ausländische Investitionen – schließlich setzen in Südostasien ja auch Vietnam, Kambodscha und Laos auf den großen Touristen-Boom – nicht ins Hintertreffen gerät, haben die Militärs vor den Vereinten Nationen in New York politische Zugeständnisse angekündigt. Viel getan hat sich seitdem nicht. Daß sie sich im Herbst letzten Jahres zweimal zu einem Gespräch mit Aung San Suu Kyi getroffen und die Dissidentin am 10. Juli schließlich überraschend freigelassen haben, wird allerdings als sichtbares Hoffnungszeichen gewertet.
Eine weitere Variante der Gewaltherrschaft mußten die Bewohner Bagans, das mit seinen Pagoden neben Ankgor Wat in Kambodscha zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Südostasiens zählt, über sich ergehen lassen. Ihr früheres Dorf ist einer der in Myanmar berüchtigten Zwangsumsiedlungen zum Opfer gefallen. Auch Rettungsversuche von Historikern, die alten Wohnbauten im 40 Quadratkilometer großen Ruinenfeld zu erhalten, hatten nichts ausgerichtet: Unter dem fadenscheinigen Argument, hier ein Touristenzentrum errichten zu wollen (tatsächlich aber wohl eher, um zu intensive Kontakte zwischen Besuchern und Einheimischen zu vermeiden) und ohne nennenswerte Entschädigung, sind die 2.500 Bewohner im Mai 1990 gezwungen worden, sich sechs Kilometer südöstlich in trostloser Steppe ohne Infrastruktur und Arbeit eine neue Existenz aufzubauen. Erst hatten die Soldaten Wasser und Strom abgestellt, dann wurden die Baganer mit Gewalt aus ihren Häusern getrieben, die sie vor ihrem Abtransport sogar noch selbst einreißen mußten. Unesco-Restauratoren befürchten bereits weitere Schäden, wenn in den nächsten Jahren eine Besucherlawine zu den architektonischen Denkmälern pilgert. Denn die Regierung errichtet schon jetzt wahllos Hotels und verbreitert Straßen, ohne Rücksicht auf die
Stätten aus dem 11. bis 13. Jahrhundert zu nehmen.
Auch in Yangon, der Bergstadt Taungyi und dem noch weitgehend kolonial geprägten Maymyo mußten Einheimische ihr Domizil verlassen, um ein „attraktiveres Umfeld für den Tourismus“ zu schaffen. Vor kurzem hat es auch in Mandalay eine „Stadtverschönerung“ gegeben. Mehrere hundert bis zu sechs Stockwerken hohe Häuser mit Blick auf das neun Quadratkilometer große Gelände des ehemaligen Königspalastes mußten verlassen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Offenbar werden neuerdings auch die Friedhöfe Mandalays in die Zwangsumsiedlungen einbezogen: Angehörige müssen die sterblichen Überreste ihrer Vorfahren ausgraben und fortschaffen – oder aber die Armee für diese Dienste bezahlen.
Angesichts solcher und weiterer eklatanter Menschenrechtsverletzungen stellt sich natürlich die Frage, ob man die Verbrechen der Militärjunta durch einen Besuch Myanmars honorieren oder dem Ort des Schreckens lieber fernbleiben sollte?! Wer einmal in diesem Land unterwegs gewesen ist – übrigens stellen Bundesbürger traditionell den größten Anteil unter den europäischen Myanmar-Besuchern – wird eine eindeutige Antwort darauf wissen. Nicht ausschließlich wegen der weltweit einmaligen Sehenswürdigkeiten, die die Reisenden dort faszinieren. Sondern vielmehr deshalb, weil Touristen für die meisten Myanmaren die einzige Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt darstellen. Diesen Standpunkt vertreten auch mehrere Gruppen, die im Ausland gegen das Yangoner Regime Front machen: Je mehr Menschen nach Myanmar reisen – meinen zum Beispiel die Londoner Organisation „Anti-Slavery International“ und die „Birma Action Group“ – desto mehr kommen auch die Menschenrechtsverletzungen ans Licht.
Die Voraussetzung für den Einsatz von Touristen als „politische Beobachter“ und „Informanten des Widerstands“ ist allerdings, daß sie vor ihrer Abreise ausreichend über die Repressionen im Land aufgeklärt sind. Außerdem sollten sie sich nicht scheuen, auch an Plätzen von Zwangsarbeit, Zwangsumsiedlungen und sonstigen Menschenschindereien ausgiebig von ihren Fotoapparaten Gebrauch zu machen.
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