: Der doppelte Ulrich
Um die 50 und gelangweilt? Erkläre den Leuten die Welt! ■ Von Susanne Fischer
Guten Abend, meine Damen und Herren –
Es gibt einen Himmel für etwa fünfzigjährige Männer. Dort werden sie von einer guten Fee in weichen Wiegen geschaukelt, bis sie krähen, es sei ihnen zu langweilig. „Kauft euch größere Autos!“ rät die gute Fee. Haben sie aber schon. Jüngere Frauen? Erst recht. Die Fee kommt in Verlegenheit. „Hm, äh, ihr seid also etwa fünfzig und langweilt euch?“ Die Gelangweilten nicken. „Langweilt andere! Wenn man etwa fünfzig ist und alles hat, wird es Zeit, jemandem die Welt zu erklären.“ Und jetzt: Das Wetter von mor... Halt! Die Anekdote geht noch weiter. So purzeln zwei Brüder auf die Erde: Der eine heißt Ulrich. Der andere auch. Der eine verwechselt Fernsehpräsenz mit allgemeiner Kompetenz, der andere Hamburg-Eppendorf mit der Welt, Prätentiosität mit literarischem Niveau, Parteipolitik mit existentiellen Problemen. Niemand wirft sich ihnen in den Weg wirft, um sie zum Schweigen zu bringen. Inzwischen ist es längst zu spät. Angefangen hat Ulrich „Das Wetter“ Wickert, weil er glaubt, eifriges Verkünden von Nachrichten qualifiziere zum Bücherschreiben, besonders zur Interpretation vermeintlicher Gesellschaftskrisen, einschließlich Verordnung der beinharten Remedur. Was aber sagt man einem Volk von gierigen Versicherungsbetrügern und Steuerhinterziehern? „Guten Abend, meine Damen und Herren! Ihr seid zu kurz gekommen und aufs Kreuz gelegt worden.“ Ja, nicke ich da, weil ihr nämlich immer noch zu blöd seid. Nein, macht Herr Wickert und wackelt mit dem erhobenen Zeigefinger, weil ihr zu ehrlich seid. Das haben wir Deutschen immer schon gern gehört.
Im folgenden beklagt der Anchor Man, wie ein Nachrichtenonkel neuerdings heißen soll, den Verlust der Werte und die Sinnkrise, als habe er beides eben gerade als erster entdeckt: er, der Uli Kolumbus des gesellschaftlichen Niedergangs.
Ganz neu auch Wickerts Rezept: Dem deutschen Volke könne ohne weiteres mit einer Art Reichsarbeitsdienst geholfen werden. Auch das schlucken meine verlogenen Mitbürger anscheinend klaglos, jedenfalls sofern sie um die Fünfzig sind und damit aus dem Arbeitsdienstalter heraus. Trotz allem möchte ich den betulichen Sorgenmacher mit dem vertrauenerweckenden Fernsehlächeln hier loben, weil er diesen einen Satz in seinem Buch hat unterbringen können: „So meint fast die Hälfte der Deutschen, die Welt nicht mehr zu verstehen.“ Ja, das freut mich denn doch. Dummerweise halten die Ulis im Volk diesen Zustand ihrer Mitbürger nicht für einen der Gnade, sondern für eine permanente Herausforderung an ihr Welterklärungspotential. Kein Wunder, daß Ulrich Wickert jedesmal ein wenig mehr Enthusiasmus ausstrahlt, wenn er am Ende seiner eigenen Sendung die Spätnachrichten „über den letzten Stand der Dinge“ ankündigt, die dann eh keiner mehr guckt. Das letzte Wort will er haben! Guten Abend.
Das will auch Ulrich „Der Stammtisch“ Greiner mit seinen überflüssigen Reportagen aus dem Eppendorfer Kneipenleben, die uns – wo? – natürlich auf der letzten Seite des Zeit-Magazins eine gestandene Meinung zu diesem und jenem vermitteln sollen, aber bitte ganz leicht und amüsant. Die „Legendär“ geheißene Kolumne kommt dabei so charmant daher wie eine eingekleidete Rechenaufgabe im Mathebuch der Eppendorfer Töchter. Wenn ein Journalist sich in zwei Figuren spaltet, einen angestaubten Ketzer und einen konventionellen Langweiler, was kommt dabei heraus? Genau.
Früher soll sich der Mann ja mal für Kultur interessiert haben. Jetzt beklagen sich seine Pinot-Grigio- Trinkgenossen darüber, daß ihre Kinder durch ihre musischen und sportlichen Aktivitäten, überhaupt Fördermaßnahmen aller Art, wie kleine Manager verplant werden. Dieses Kindheitsdrama muß Uli Greiner all seinen Lesern zu wissen geben, damit sie sich auch ein paar Sorgen um den gehobenen Mittelstand machen können, jene Schicht, in der selbst das Arschloch etwas höher getragen wird.
An dieser Stelle wollte ich mein kleines Märchen von den zwei Brüdern mit dem Rat beenden, doch einfach die Berliner Mauer rund um Hamburg-Eppendorf neu aufzubauen, damit ich mir nicht mehr soviel Sorgen um „Uli Greiner seine Lütte“ (wie wir in Hamburg-Barmbek sagen würden) machen muß, und ob sie mal in der großen Welt bestehen wird, denn dafür soll der Flötenunterricht anscheinend hauptsächlich gut sein. (Ich sag's ja: Der Mann verwechselt alles ...) Das arme Kind! Wahrscheinlich zittert es bereits vor Überforderung beim freiwilligen Sanskritlernen im Vorschulalter. Hoffentlich heißt sie nicht auch noch Ulrike. Über den letzten Stand der Dinge informiert sie mein Kollege Uli Greiner in zwanzig Jahren.
Natürlich darf ich aber gar keinen Rat geben, weil ich kein Mann bin, nicht um die Fünfzig und mich noch nicht mal anständig langweilen kann. Außerdem weiß ich nicht, wo Wickert wohnt und ob wir ihn bei der Eindeichung Eppendorfs gleich mit erwischen und in einen winzigen Schwarzweiß- Monitor sperren können, den er erst beim endgültig allerallerletzten Stand der Dinge wieder verlassen darf.
Nein, wahrscheinlich nicht, denn das wäre zu einfach. Und überhaupt gibt es ja da noch diesen sympathischen Eppendorfer, der gern erzählt, wie der Hotel-Nachtportier in - - - ihn für einen Penner hielt, weshalb er, der Eppendorfer Nicht-Ulrich, die ganze Nacht nicht in sein Hotelzimmer gelangen konnte.
Am nächsten Morgen, als herauskam, daß es sich bei dem vermeintlichen Berber um den berühmten - - - aus Eppendorf handelte, war die Not natürlich groß. Ja, dieser Eppendorfer soll auch weiterhin die Nachtportiers der ganzen Welt in Verlegenheit bringen dürfen, weshalb ich das mit der Mauer auch sofort zurücknehme. Ist eh keine gute Idee. Ich glaube sogar, sie ist schlecht. In wie vielen Artikeln die schon wieder aufgebaut werden sollte, die olle häßliche Mauer. Fällt den Leuten denn rein gar nichts mehr ein?
Es gibt auch einen Himmel für etwa Sechzigjährige. Dort regiert eine Fee, die zu allen Menschen gut ist. Falls die Insassen sich langweilen, empfiehlt sie ihnen, das Golfspielen zu erlernen. Das ist erfreulicherweise eine komplizierte und langwierige Angelegenheit, die meist von der Öffentlichkeit abgeschirmt vor sich geht. Also: Augen zu, Ohren zu, zehn Jahre warten.
Dann stehen sie am 9. Loch und rufen: „Die Hälfte der Eppendorfer versteht die Welt nicht mehr!“ „Am deutschen Flötenkurs soll die Welt genesen!“ Und wir haben endlich Ruhe. Den Lesern, die mir beim Schreiben nicht zusehen können, verrate ich, daß ich jetzt verschmitzt mit den Augen blinzele, etwa so: blinzelblinzel. „Das Wetter von morgen.“
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