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Der freundliche Abzocker

■ Alle lieben ihn. Er ist offen und bescheiden, ein ehrlicher Kerl. Seinem Vater versprach Jürgen Klinsmann einst in die Hand: Ich gehe nie zum FC Bayern München. Jetzt findet dort sein Trikot mit der Nummer 18 reiß

Muß man Angst haben um den Mann im Zentrum der Hysterie? Die Arme emporgestreckt, als würde er verhaftet abgeführt, pflügt er mit besorgtem Gesicht durch ein Meer der Enthemmten.

Überall lauert Gefahr. „Du springst ihm in den Weg, wir kommen von hinten“, hat eine Gruppe Halbwüchsiger einen Plan ausgeheckt, mit dem sie den Blonden zum Stehenbleiben zwingen wollen. Eine Dame aus Bottrop erwägt gar sich zu entblößen, damit er sie nicht abermals mißachtet.

„Dem Sonnyboy ist das Lachen schon vergangen“, schreibt Bild. Reichlich baff sei Jürgen Klinsmann ob der Zuneigungsschübe, denen er sich in den vergangenen Wochen ausgesetzt sieht. Hätte jemand gedacht, daß es so heftig über ihn hereinbricht? Von Fußballprofis heißt es zwar, sie seien so etwas wie Ersatzhelden, die folglich regelmäßig kleine Begeisterungswogen auslösten; was den Klinsmann angeht, trifft dies nicht zu.

Vielmehr ist es so, als habe der Nationalstürmer eine emotionale Flutwelle mit unbekannten Ausmaßen in Bewegung gesetzt. Als bekannt wurde, daß der Balltreter von dem Londoner Verein Tottenham Hotspurs zum FC Bayern München wechseln würde, stürzten die Fans in England in eine tiefe Depression. Tottenhams Präsident Alan Sugar sprach kreidebleich von dem „erschütternsten Moment“ seiner Amtszeit. Beim letzten Spiel gaben die englischen Fans einen derart rührseligen Abschied, daß Klinsmann tränenerstickt Dankesworte stammelte.

In Deutschland wiederum brachte die ARD einen zwanzigminütigen Klinsmann-„Brennpunkt“, direkt nach der Tagesschau – hier werden sonst die großen politischen Weltereignisse abgehandelt. Sat.1 legte mit einer opulenten Interview-Show nach, bei der auch Joschka Fischer zum Zwei-Minuten-Einsatz ins Studio eilte. Kein Magazin, von dessen Titelseite zuletzt nicht der smarte Kicker geguckt hätte. Die Abteilung „Merchandising“ beim FC Bayern registriert vor Saisonbeginn: 70 Prozent vom Umsatz fällt auf Klinsmanns Trikot mit der Nummer 18 – trotz anderer Stars wie Matthäus, Herzog, Papin etc.

In einer Zeit, da der Fußball „gigantische Bedeutung erlangt hat“, wie Bayern-Präsident Franz Beckenbauer meint, ist der Republik ein Messias erschienen, den das verknallte Volk neckisch „Klinsi“ ruft. Klinsi, der so viele Tore schießt, das Makellose, das Wahrhaftige des Sportes verkörpert.

Womit Klinsmann fürwahr herausragt aus dem Heer der kickenden Parvenüs, wenngleich es der geschickte Imageschnitzer mit der Bescheidenheit auch manchmal übertreibt. „Als Held oder Gott mußt du unfehlbar sein, eine Art Retortenwesen“, hat er gesagt, „darum will ich kein Held oder Gott sein.“ Hosianna!

Nun ist er's doch. Und ausgerechnet jene, die der Stürmer Klinsmann, 31, stets mit Argwohn betrachtet, haben ihn dazu gemacht. „Die Medien klonen sich ihre Helden, um sie dann fast sadistisch zu demontieren“, schimpfte er einst und bemerkte nicht, daß er selbst zu einer veritablen Kunstfigur mutierte.

Es verhielt sich schon immer so, daß Klinsmann den Medien der edelmütige Saubermann war. Seine Liebe zum alten Käfer-Cabrio wird noch heute als studentische Bescheidenheit gedeutet, obschon Klinsmann auch einen Porsche sein Eigen nennt.

Sieben Jahre lang bolzte er dann für Inter Mailand, AS Monaco und Tottenham, und wenn etwas über den Fußballer Klinsmann in die Heimat drang, dann waren es wohlmeinende Kolportagen oder spektakuläre Schlaglichter. Wie seine famose Leistung im Weltmeisterschafts- Achtelfinale gegen die Niederlande (2:1) in Italien 1990.

Im Alleingang gewann Klinsmann dieses Spiel. Weil er rannte, ackerte und grätschte bis an den Rand des Zusammenbruchs und alle teutonischen Balltugenden auf eine 90minütige Vorstellung komprimierte. Damals wurde der Mythos vom unermüdlich arbeitenden, aufrichtigen Vorzeigeprofi unerschütterlich in Beton gegossen. Was nicht so ganz stimmt. Als Klinsmann vor einem Jahr vom AS Monaco zu Tottenham transferiert wurde, bebte kurz das Fundament. Als miesen Elfmeterschinder, der niederzusacken pflege „als hätte ihn ein Heckenschütze aus Block E erwischt“, erledigte ihn der Guardian in der Kolumne „Why I hate Jürgen Klinsmann“.

Der Spott währte nicht lange, weil Klinsmann abermals tat, was er am Besten kann: Er rannte, ackerte und grätschte bis jede Muskelfaser schrie – auf der Insel lieben sie das. Und nach zehn Monaten in der Premier Devision wurde er zum besten Spieler gekürt.

Doch nun dies: „Klinsis Selbstzweifel – Es wird nie wieder so sein wie jetzt“, stand kürzlich in der Münchner Abendzeitung. Wir sind sofort rausgefahren zum Trainingsgelände an der Säbener Straße im nobel-verpennten Stadtteil Harlaching und haben nachgefragt, woher die Krise rührt. Klinsmann hat dann ein wenig ernst geschaut und gesagt, er mache sich Sorgen, nach dem Fußball in ein Loch zu fallen. „Ich werde nie wieder einen Job so gut ausüben wie Fußball“, hat er gesagt.

Was ziemlich traurig klang. Andererseits, haben wir uns dann bei der Heimfahrt gedacht: Wer soviele Millionen auf der Bank hat, kann eigentlich einiges ausprobieren, bis er etwas gefunden hat, das ihn ähnlich erfüllt wie der Beruf des Fußballprofis. Betrübt waren wir trotzdem. Mysterium Klinsmann. Bei ihm, analysierte der Spiegel, neige man dazu, „Geschick mit Genialität zu verwechseln“. Wie sonst nur bei Franz Beckenbauer, dem „Kaiser“, wird dem Schwaben zum Guten umgewidmet, was allen anderen am Image kratzen würde. Wenn sich etwa der solvente Kicker in seinen Verträgen Ablösesummen festschreiben läßt, „weil ich bei einer maßvollen Ablöse mehr Geld für mich rausschlagen kann“, wie er dem Playboy anvertraute, ist er nicht der gierige Geldsack, der Abzocker, sondern eben das freundlich pokernde Cleverle.

In einer Branche, in der halbmündige Frühmillionäre von Beratern und Managern umschwärmt und ausgesaugt werden, ist Klinsmann der einzige Selbstvermarkter – und dabei erfolgreich wie ein Ion Tiriac. Wenn's ums Geld geht, ist der Softie unerbittlich. Selbst vom Verkauf der Nummer-18-Trikots hat er sich vertraglich Extraprofit gesichert und dabei einen Kumpel aus alten Zeiten nicht vergessen: Karl Allgöwer liefert von der Alb runter aus seinem Hemdenwerk den Stoff.

10,5 Millionen Gehalt plus drei Millionen Handgeld bis 1998 beim FC Bayern sind eben nicht zuviel: Schließlich hat Klinsmann nicht, wie ehedem bei Inter Mailand, einen vertraglich gesicherten Stammplatz – ziemlich einmalig in der Fußballgeschichte.

Macht man sich auf die Suche, Gründe für diese verkehrte Wahrnehmung zu finden, stellt man fest, daß es gar nicht viele gibt. Erstaunlich: Die Gründe haben sich über die Jahre nicht verändert, was wahrscheinlich daran liegt, daß Klinsmann stets selbst dafür gesorgt hat. Die Geschichten vom Käfer-Cabrio („Ich liebe Verrücktheiten“), den Zeiten, als er noch mit Rucksack reiste („Ich bin ein Freidenker“), dem kleinen Interesse für Abläufe jenseits des Spielfeldes („Kondome find' ich prima, da kann man eine Message an die Jugend rüberbringen“), erfahren Neuauflage bis zum Verdruß.

Dahinter verschwindet die Villa am Comer See, und auch der Porsche ist plötzlich kein Statussymbol mehr, sondern allenfalls unvermeidbares Branchenkennzeichen. Vergessen wird zudem, daß der Kicker politischen Fragen hurtig ausweicht wie sonst nur den Abwehrspielern. Vages Geschwätz verzuckert der Bäckersohn mit freundlichem Lächeln. Von Regisseur Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“) wird er dafür umgehend zum einzig denkenden Profi stilisiert. Und der Umstand, daß er gerne mal fünf Minuten ohne seine kickenden Kollegen verbringt, brachte ihm den Ruf eines schrägen Individualisten – eines philosophisch-nachdenklichen gar. „Klinsi – wir lieben dich trotzdem“, umschrieb eine Berliner Zeitung kürzlich ihr Bedauern über das Fehlen von Fotos der Hochzeit Klinsmanns. Ganz heimlich hatte er Ringe getauscht, und zwar mit Debbie, gebürtige Chin aus Kalifornien, ein Fotomodell. Doch es heißt vorsichtig sein, was die Privatsphäre Klinsmanns betrifft.

„Bis zum letzten, wenn es sein muß, bis zum Prozeß“ werde er sie verteidigen, hat er gesagt. Und die Bunte weiß, daß dies stimmt. Unlängst meldete sie, der Sportler habe Debbie in Jeans und offenem Hemd geehelicht. „Ich habe geheiratet wie es sich gehört“, raunte Klinsmann und schwor, die Illustrierte zu verklagen.

Was einen dann doch erstaunte, weil sich der legere Weltmann, der auf italienisch, französisch und englisch zu parlieren versteht, plötzlich irgendwie als penibler Kleinbürger präsentierte. Doch die Metamorphose vom niedlichen Normalo in Turnschuhen und Jeans zum knallharten Eigenmanager ist vermutlich auch eine der größten Fähigkeiten des 74fachen Nationalstürmers Klinsmann. Zum Rührstück Klinsmann passen solche Begebenheiten nicht. Deshalb vergißt man sie besser und erinnert sich lieber an die putzige Episode vor seinem Wechsel nach München. Nie werde er zum FC Bayern wechseln, hatte der Sproß seinem Vater vor langer Zeit einmal versprochen – zu diesen Bussi- Bussi-Neureichen. Doch der Drang des hemmungslos Ehrgeizigen, einmal in seiner Karriere eine Landesmeisterschaft zu gewinnen, war stärker. Extra in die Heimat flog er, um sich vom Schwur freisprechen zu lassen. Der Papa entband ihn, und ein nettes Foto von den beiden ging durch die Presse. Das sind die Geschichten, aus denen Fußballhelden sind. Gerhard Pfeil

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