: „Jutta Ditfurths Krimi ist richtig spannend“
■ Hellmuth Karasek verteidigt das Buch der Politaktivistin – vom Charme der Autorin benebelt? Handelt es sich bei „Blavatzkys Kinder“ tatsächlich um einen „flotten Roman“?
taz: Herr Karasek, die Ökosozialistin Ditfurth ist mächtig stolz: Sie, der große Literaturkritiker, fänden ihren Erstlingskrimi sehr spannend – bestsellerreif gar.
Warum druckt ihn denn die taz, bitte schön? Weil er richtig gut ist, oder weil der Name Ditfurth davorsteht? Ich nehme an, auch Sie können beides nicht trennen.
Gut gewähnt. Aber noch etwas freut die Jungliteratin: Sie hätten ihr so etwas gar nicht zugetraut.
Nicht zugetraut und auch nicht erwartet und doch gedacht: Donnerwetter, das macht die jetzt! Wenn man einen heiligen Mann sieht und er besäuft sich, dann sagt man: Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. In ihr hätte ich so eine spielerische Kraft nicht vermutet.
Etwa, daß sich die spröde Politikaktivistin Liebesszenen in der Badewanne hingibt?
Ich bitte doch, die Liebesszenen sind nicht das Entscheidende. Bei der Lektüre habe ich wirklich Spannung empfunden.
Leser rapportieren von kultischen Ritualen beim Frühstück: Einer trägt die neueste Folge aus der taz vor. Folge: herzhaftes Gelächter macht das Essen schwierig.
Na klar, wer will, wird auch Stilblüten finden, aus denen er ein ganzes Bouquet binden kann.
Beispiel gefällig? „Ein Zinken traf seinen Hüftknochen. Welch ein Schmerz!“
Na und? Das Buch transportiert politisch ziemlich brisante Themen: Kinderhandel, Ausbeutung der Dritten Welt, Leute, die Organe aus lebendigen Leibern klauen – eine Fiktion, die sehr schnell Realität werden kann.
Das ist ja das Problem. Die gute Ditfurth hat alle Greuel der Welt reingepackt. Der Stoff würde reichen für das pralle Lebenswerk eines Simmel.
Entscheidend ist doch: Sie hat daraus einen flotten Roman gemacht. Spannend ist, wie sie eine rechte Verschwörung durch eine intakte linke Szene aushebeln läßt. Spannend ist ihr Verhältnis zur Polizei, schön gespalten: Ohne Bullen könnten ihre Autonomen nicht mit den Verbrechern fertig werden.
Herr Karasek, wir haben einen Verdacht: Sie sind ein raffinierter Fuchs. Mit ihrem Lob wollen Sie die gefürchtete Politaktivistin an den Schreibcomputer fesseln, sie von ihrer revolutionären Aufgabe fernhalten: Frau Ditfurth an der Macht würde einem bourgeoisen Sack wie Ihnen das Leben zur Hölle machen.
Und so lenkt sie mich mit Romanen von dieser Hölle ab! Prima.
Karl Wegmann, Mitglied der Jury, die den deutschen Krimi- Preis vergibt, sagt: „Dürftige Geschichte, erbärmliche Dialoge.“
Vielleicht sind mir ja angesichts des Themas und des Charmes der Autorin sämtliche Kriterien aus der Hand gefallen.
Am Montag wird Ihnen der „Spiegel“ helfen. Wiglaf Droste brät Ihrer literarischen Neuentdeckung ordentlich eins über. Unter anderem wegen, wie er uns vorab verraten hat, „Landserdialogen, Phantasielosigkeit, brutal holprigem Deutsch“.
Damit wird Jutta Ditfurth schwerer leben müssen als ich. Es ist in Deutschland ein übler, erwartbarer Spott: Wenn jemand sich auf einem neuen Gebiet versucht und das ganz geschickt und talentiert macht, kommt der große Holzhammer.
Herr Doppler, Sie sprechen aus eigener Erfahrung?
Ich bitte Sie, mir ist es mit meinen Komödien erstaunlich gut gegangen! Aber: Wenn sich die Ditfurth aus der Deckung raus traut und was riskiert, heißt es: Marsch, marsch, geh zurück in die Politik!
Ein Spötter meinte: Das ist Karl May für Autonome.
Was für ein hohes Kompliment! Karl May hat Träume und Sehnsüchte einer jungen Generation eingefangen. Über ihn kann man sicher sagen: Er konnte nicht schreiben. Doch Arno Schmitt sagte: Er ist ein großer Autor.
Ist es das, was Sie sagen wollen: Ditfurth ist eine große Autorin?
Sie hat einen spannenden Unterhaltungsroman zustande gebracht. Ich will nicht beweisen, daß sie große Literatur geschaffen hat. Aber wie Simmel hat sie politische Kolportage geschaffen. Und das ist das Schönste an ihrem Buch: daß endlich in Deutschland die Kolportage nicht mehr kampflos den Rechten überlassen wird.
Vielleicht hat Karl Marx wieder einmal richtig analysiert. Den Kitzel im Krimigenuß sieht der alte Marxist so: „Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und die Alltagssituation des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es vor Stagnation.“
Ha ha! Sie wollen mir jetzt unterjubeln, daß Ditfurth eine literarische Verbrecherin ist, die meine Stagnation unterbrochen hat. Ha ha! „Blavatzkys Kinder“ wird keine literarische Wertediskussion entfachen, aber die Leser werden es verschlingen: Mit dem Gefühl, mit realen Fragen in einem Kolportageroman sehr spannend und angenehm belästigt zu werden.
Ganz anders sieht es Droste, der in dem vollkommunistischen Blatt „Junge Welt“ neulich gestichelt hat gegen diesen „angeblichen Krimi“: „Geld regiert die Welt, und die ist fast so schlecht wie das Deutsch von Jutta Ditfurth.“
Na ja, die Welt wird durch Geld regiert, und das zeigt auch dieser Krimi. Und das Deutsch von Jutta Ditfurth ist viel besser als der Zustand dieser Welt. Gespräch: A. Luik & N. Thomma
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