Die USA sind für Rußland wichtiger als Serbien

■ Duma in Moskau beschließt Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien

Moskau (taz) – Das russische Parlament verabschiedete am Samstag auf einer Sondersitzung einen Gesetzentwurf, der vorsieht, die gegen Restjugoslawien verhängten Sanktionen einseitig aufzuheben. Die Initiative ging von drei Fraktionen aus: den konservativen Agrariern, der nationalsozialistischen Demokratischen Partei und den Chauvinisten um Wladimir Schirinowski. Der Vorsitzende der Agrarier, Michail Laptschin, begründete die Initiative mit der Verbundenheit gegenüber den Serben: „Wir lassen historische Freunde, die in Schwierigkeiten stecken, nicht im Stich.“ Wenig später nannte er dann das wohl entscheidende Motiv: „Rußland hat eigene Interessen, und die sollten Vorrang haben.“ Um ihre Entschlossenheit zu untermauern, initiierten die Parlamentarier noch ein Gesetz „in Verbindung mit dem Genozid der Republik Kroatien gegen die serbische Bevölkerung“, in dem Moskau sich verpflichtet, Belgrad humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Das erste Hilfsflugzeug hat Moskau bereits verlassen.

Bevor die Sanktionen tatsächlich aufgehoben werden, muß der Föderationsrat, das Oberhaus des Parlaments, noch zustimmen. Die letzte Entscheidung liegt dann bei Präsident Jelzin. Und der dürfte noch einige Zeit an der Frage knabbern. Eine einseitige Aufhebung der Sanktionen hätte ernste Verstimmungen in den USA zur Folge und würde die Chancen einer gemeinsamen Konfliktregelung im Keim ersticken. Rußland hätte sich aus der Rolle eines Vermittlers in einen offenen Parteigänger der Serben verwandelt. Seinem Streben ein ernstzunehmender Partner der USA zu sein, wäre das höchst abträglich.

Einen abschlägigen Bescheid indes würde Serbiens Slobodan Milošević verprellen und Moskaus Einfluß in Belgrad verringern. Welche Konsequenzen für den Kreml schädlicher wären, liegen auf der Hand. Nicht nur die Balkanpolitik der westlichen Staaten, sondern auch diejenige Rußlands zeichnet sich durch Hilf- und Konzeptionslosigkeit aus. Jelzins Vorstoß, ein Gipfeltreffen zum Krieg in Ex-Jugoslawien in Moskau abzuhalten, entspringt innenpolitischen Motiven. Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Dezember hat bereits begonnen. Die Nationalisten, und zu diesen gesellte sich auch die orthodoxen Kirche, halten dem Kreml vor, in Ergebenheitsadressen der Politik des Westens zu folgen.

Bei allem geht es also nicht um die historische Verbundenheit mit den ebenfalls orthodoxen Serben. Der Empfang für Milošević in der vergangenen Woche war eher kühl. Der serbische Präsident gab nicht einmal ein offenes Statement ab. Der Kreml scheint ernste Zweifel an Miloševićs Haltung zu Rußland zu hegen. Jelzins übereilte Initiative – nach längerem Krankenhausaufenthalt – hat ihn nun selbst unter Zugzwang gesetzt. Der „Fünfpunkteplan“ den Moskau am vergangenen Donnerstag schließlich als seine neue Balkaninitiative vorschlug, geht über bloße Appelle an die Kriegsparteien, die Feinseligkeiten einzustellen, und eine Kritik an Kroatien kaum hinaus.

Die Vorschläge, die der US- amerikanische Sicherheitsberater Lage dem russischen Außenminister Kosyrew gestern bei einem Treffen in der Schwarzmeerstadt Sotschi unterbreitet, dürften daher auch bei Jelzin Zustimmung finden. Nehmen sie ihm doch die Bürde, der nichtdurchdachten russischen Friedensinitiative.

Zwar schweigen sich die amerikanischen Diplomaten über den konkreten Inhalt des neuen Friedensplans aus, nach und nach dringen jedoch Einzelheiten an die Öffentlichkeit. So sollen die Bosnier die UN-Schutzzone Goražde in Westbosnien aufgeben, dafür aber Sarajevo „bekommen“. Erweitert werden soll der serbische Korridor bei Brčko in Nordbosnien, dieser verbindet die bosnisch-serbischen Gebieten mit Serbien. Durchgesetzt werden soll das Ganze nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“: Wer sich fügt, erhält Vergünstigungen wie etwa die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Wer sich weigert, wird bestraft. Insgesamt streben die USA ein Föderations-Konföderations-Modell an. Bosnien soll zwar als Staat erhalten bleiben; den bosnischen Serben soll jedoch ermöglicht werden, sich in einem Referendum für eine Konföderation mit Serbien auszusprechen. Die bereits in Bosnien existierende muslimisch-kroatische Föderation wiederum könnte eine Konföderation mit Kroatien eingehen. Klaus-Helge Donath