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Nordirlands Geschichte gibt keine Ruhe

■ Streit um die Route protestantischer Gedenkparaden führt zur gewaltsamen Auflösung von Sitzblockaden durch die Polizei und schweren Krawallen / Schlimmste Gewalt seit Beginn der nordirischen Waffenru

London (dpa/AFP) – In Nordirland ist am Wochenende wieder Gewalt ausgebrochen, nachdem Katholiken dagegen protestierten, daß historische Paraden von Protestanten unter Polizeischutz durch katholische Wohngebiete geleitet wurden. Der Ärger der Katholiken in Belfast und Derry entlud sich am Samstag und Sonntag in heftigen Zusammenstößen mit Ordnungskräften. Es waren mit die schlimmsten Gewaltszenen seit der vor fast einem Jahr erklärten Waffenruhe von katholischer IRA und protestantischer Miliz.

Mehr als 20 Menschen, darunter zehn Polizisten, wurden verletzt, als die Bereitschaftspolizei am Samstag eine Sitzblockade in der Hauptstadt Belfast auflöste, um einer Parade von ungefähr 30 Protestanten den Weg durch die Ormeau Road zu bahnen. Flaschen und Steine flogen, die Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Plastikgeschossen. Ein Mann wurde im Gesicht verletzt. Vizepolizeichef Ronnie Flanagan machte „ortsfremde Elemente“ verantwortlich. „Ich habe keine Zweifel, daß die Gewalt angestiftet worden ist.“

Friedlicher ging es dagegen in Derry zu: Auch dort hatten rund 200 Demonstranten dagegen protestiert, daß eine protestantische Parade die Straße entlang der Stadtmauern am Rande des katholischen Bogside-Viertels einschlagen durfte. Bereitschaftspolizisten lösten die Sitzblockade gewaltsam auf, die Demonstranten leisteten dort aber – dem Aufruf der irisch- nationalistischen Partei Sinn Féin folgend – geringen Widerstand. In der Nacht folgten Krawalle auch in Derry, in Belfast und Armagh. Nach Polizeiberichten rotteten sich einige Banden maskierter Jugendlicher zusammen, warfen Brandsätze und Steine und zündeten Fahrzeuge an.

Der Chef der Sinn Féin, Gerry Adams, machte die britische Regierung für den neuen Ausbruch der Gewalt verantwortlich. Er beschuldigte London, den Fortgang der Friedensverhandlungen zu behindern. Für einen für gestern geplanten Demonstrationszug rief er zur Ruhe auf. Die katholische Kirche forderte, daß die Genehmigung historischer Paraden künftig nicht mehr in den Händen der Polizei liegen, sondern den Politikern obliegen sollten. Die harten Räumungen durch die Polizei, predigte Pfarrer Anthony Curran, „waren ein Rückfall in frühere Tage. Das bestätigt in den Köpfen vieler Menschen, daß ihnen nicht vertraut werden kann“.

Unterdessen wurde erstmals ein wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter protestantischer Loyalist in Nordirland kurzzeitig aus der Haft entlassen. Wie am Sonntag aus protestantischen Kreisen bekannt wurde, erhielt der Mann, der als eine Leitfigur des protestantischen bewaffneten Kampfes gilt, drei Tage Ausgang.

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