: Katalogblättern verboten
■ Ein Prozeß wegen Verletzung des Postgeheimnisses: Bremer Postler vom Dienst suspendiert / Gericht verwarnt den Angeklagten
Der Angeklagte, der sich vor dem Amtsgericht wegen Verletzung des Postgeheimnisses verantworten muß, sitzt kerzengerade auf dem Stuhl. Der Blick des ehemaligen Postoberschaffners ist starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Unaufhörlich bearbeitet er mit dem Zeigefinger seinen Daumen.
„Um 20.07 Uhr hat der Angeklagte eine Sendung vom Band genommen“, weiß der Zeuge, ein Beamter des Post-Ermittlungsdienstes, ganz genau. „Das war wohl ein Katalog, den der Angeklagte durchgeblättert hat. Dann hat er eine Postkarte rausgenommen und sie eingesteckt.“ „Wie bitte“, ruft der Angeklagte und sieht den Ermittlungsbeamten mit aufgerissenen Augen an. „Ich habe nie etwas mitgenommen.“
„Daß Sie die Karte mitgenommen haben sollen, ist auf dem Videofilm auch nicht zu sehen. Selbst wenn es so wäre, könnte Ihnen das nicht nachgewiesen werden“, beruhigt Richter Horst Wacker den Angeklagten sogleich. Der Zeuge läßt sich nicht beirren. „Vorher hat er die Karte allerdings noch seinen Kollegen gezeigt, hat wohl gefragt, ob die auch Interesse hätten“, vermutet der Post-Hilfssheriff. „Einmal hielt er etwas Dickeres in der Hand. Das war wohl eine Gerichtsakte“, fährt der Post-Ermittler fort und beugt sich weit über den Tisch zum Richter. „Hinterher hat er aber gesagt, daß sei die Akte eines Steuerberaters gewesen.“ Der Angeklagte sieht den Ermittler an und schüttelt stumm den Kopf.
Sechs Mal binnen einer Woche hat er sich im August des vergangenen Jahres Kataloge von der „Stückbriefverteilanlage“ genommen. Acht, manchmal neun Stunden saß er am Fließband und wartete auf Briefe. „Mit der Tastatur habe ich die Postleitzahlen eingegeben, um die Briefe für die Zustellung zu codieren“, erzählt der 25jährige. „Das klingt ja nicht sehr aufregend“, findet der Richter. „Das kann man wohl sagen“, seufzt der Angeklagte. „Manchmal gab es Leerlauf. Dann habe ich mir einen Katalog genommen, um mir die Zeit zu vertreiben. Meistens Sportkataloge. Ich bin sehr sportbegeistert“, fügt er hinzu, und ein scheues Lächeln huscht über sein Gesicht.
Daß eine Video-Kamera jeden Handgriff von ihm und seinen KollegInnen festhielt, ahnte der Beamte auf Probe damals nicht. Aufgrund der zahlreichen Verlustmeldungen hatte die Oberpostdirektion die Beamten mittels Videokamera und hauseigenen Ermittlungsbeamten ins Visier genommen. 13 Postbeamte und Angestellte wurden des Diebstahls oder der Verletzung des Postgeheimnisses überführt. Sie hatten Geld, Schmuck, Pornos und CDs mitgehen lassen.
Die Postler wurden vom Dienst suspendiert. Auch der Angeklagte mußte seinen Hut nehmen. Seitdem ist er Hausmann und bekommt 700 Mark „Restbezüge“ von der Post. „Wie es weitergehen soll, weiß ich nicht“, sagt der Angeklagte achselzuckend. Daß er sich durch den Verlust seines Arbeitsplatzes „einen hohen Eigenschaden“ zugefügt hat, erkennt auch die Staatsanwältin. Dennoch sei „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Postverkehrs erheblich beeinträchtigt worden“, gibt sie zu bedenken. Doch obwohl „das Unrechtsbewußtsein“ des Angeklagten „stark herabgesetzt“ gewesen sei, will sie ihn mit einer Verwarnung davonkommen lassen. Der Beamte vom Postermittlungsdienst zuckt kaum merklich zusammen, als er das Wort „Verwarnung“ hört. Die Milde der Staatsanwältin scheint ihn zu überraschen. Schließlich hatte er den Angeklagten „als mittelschweren Fall“ eingestuft.
Der Angeklagte schluckt, als ihm der Richter das letzte Wort erteilt. „Ich kann nur sagen, daß mir das alles furchbar leid tut“, preßt er kaum hörbar hervor. Daran hat der Richter offenbar keinen Zweifel. Er verwarnt den Angeklagten und setzt eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen a 50 Mark fest – für den Fall, daß er in den nächsten zwei Jahren wieder straffällig wird. „Damit ist der Krug noch mal an Ihnen vorübergegegangen“, warnt Wacker den Angeklagten. „Lassen Sie in Zukunft von solchen Sachen die Finger.“ Der Angeklagte nickt. Gegen das Urteil könne er Berufung oder Revision einlegen, belehrt ihn der Richter. Der ehemalige Postler schüttelt energisch den Kopf. „Nein, nein, ich bin doch froh, daß das vorbei ist.“ kes
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