: Ein Sterblicher löffelt
Nach „verlorenem“ Weltmeistertitel muß Dieter Baumann morgen schon an seinen Marktwert denken ■ Von Peter Unfried
Nachdem nun die Zeit der Taten vorbei ist, ist dies die Zeit der Analysen. Freilich: Nur daß, nicht warum einer gewonnen hat, interessiert. Gründe finden ist so leicht wie Kohlen in Newcastle. Warum aber haben die meisten verloren? Ist mathematisch unabdinglich. Doch warum ausgerechnet ER?
Wer ihm ins Gesicht geschaut hat, hat es kommen sehen. Oder, seien wir ehrlich und relativieren: hätte es kommen sehen können. Es waren keine 1.500 Meter gelaufen, und Dieter Baumann (30), sagt er, sei „nur noch ums Überleben gelaufen“. Vorne waren sieben Afrikaner weg, hinten lief der Weiße um die Plätze. Alltag für andere, wie den 10.000m-Siebten Stephane Franke, dem DLV-Präsident Digel hinterher eine „großartige Leistung“ attestiert hat; viel zu wenig für einen Olympiasieger, von dem die angeschlagene nationale Branche die Erlösung von der Sünde des Verlierens ersehnt hatte.
Dieses Mal hat sich halt nun das Wasser nicht in Wein verwandelt; allenfalls in salzigen Schweiß. Baumann ist sterblich. Das wissen nun auch die, die es ahnten, doch nicht glauben wollten. Und die den Läufer durch permanentes Kosen verleitet haben, solches wenigstens zeitweise selbst ein bißchen zu glauben.
Was dem sportlichen Erfolg nicht abträglich ist; im Gegenteil. Doch nun ist der Zauber erst mal weg. Während des sonntäglichen WM-Rennens hat Baumann angefangen, seinen kleinen Tod zu sterben. „Das ist die bitterste Erkenntnis“, hat er gesagt, „wenn du merkst, du kannst nicht eingreifen.“ Nun war es nie so, als hätte er das Gold nur abholen müssen. Der Mann von der schwäbischen Alb könnte sich noch Jahre in der Höhe St. Moritz' vorbereiten – die 5.000m unter 13.00min zu laufen, wie es andere vermögen, würde er nicht hinbringen. Aber nach dem Vorlauf, den der locker und leicht gewonnen hatte, hatte er geglaubt, es auch nicht zu müssen. Vor allen anderen hatte Baumann von dessen Manager Jos Hermens erfahren, daß der übermächtige 10.000m-Weltmeister Haile Gebresilasie nicht starten würde. „Jetzt“, hatte er gesagt, „wird es ein ganz anderes Rennen.“ Baumanns Kalakulation ging auf – und doch nicht. Im knallengen Umkleideraum, wo die Läufer vor dem Rennen eine halbe Stunde vor sich hinstarren mußten, würde Baumann wie geplant „tief in die Trickkischte greifen“, Titelverteidiger Kirui (Kenia) und den Rest fixieren, bis denen die Knie schlottern und sie alle Pläne vergessen würden. Doch diesmal taten die, sagte Kirui, „wie besprochen“. Nach lahmen erstem Tausender steigerten sieben Afrikaner vorne auf 1.000m-Zeiten um die 2.35 min. Die „Zeit zum Verschnaufen“, die Baumann einkalkuliert hatte, kam nimmermehr. Zwar gab er „ständig Befehle an meine Beine weiter“, doch die verhallten unbeantwortet.
Warum das so war? „Es gibt Dinge“, sagt Baumann, „die kann man nicht erklären.“ Die Vorbereitung war „seriös“ (DLV-Präsident Digel), nur dem Ereignis, nicht kurzfristiger Dividende gewidmet, die Substanz „wie in Barcelona“ (Baumann), und dann: lief er los, und plötzlich lief nichts. Andererseits läßt sich aus der Sicht des Siegers Kirui sagen, daß die Afrikaner entschlossen waren, sich nicht noch einmal wie bei Olympia von Baumann bluffen zu lassen. Nach wechselnder Führungsarbeit lief Kirui schließlich einfach sein Rennen. „Ich habe mir gesagt“, dozierte der nunmehrige Doppelweltmeister, „entweder du gewinnst – oder du verlierst.“ Ziemlich simpel. Wenn einem die Beine gehorchen.
Mag abgedroschen klingen: Es hat Dieter Baumann in der Niederlage gezeigt, was er für ein Kerl ist. „Man kostet die Siege aus“, hat er nach kurzer Sprachlosigkeit in der dritten Person sprechend gesagt, „dann muß man auch die Niederlagen auslöffeln.“ Die Frage ist nun: Ist diese bittere Suppe schon gegessen? Wird sich nun zeigen, bei den Sportfesten. Und es wird noch ungleich schwieriger als in Göteborg, morgen in Zürich mitzuhalten, wenn Haile Gebresilasie den 5.000m-Weltrekord attackieren wird. Das Hecheln hinter den Hasen hat der kluge Baumann gern gemieden. Seit 1992 hat er wohldosiert seinen Nimbus gewahrt, ja sogar noch gesteigert. Nun muß der persönliche Berater des DLV-Präsidenten Digel, nun muß auch der Olympiasieger wieder rennen. Nicht um sein Leben, aber um seinen Marktwert. Als er direkt zur WM seine autobiographische Bestandsaufnahme herausgegeben hat, wußte er genau, wie sehr Verkaufserfolg vom Einlösen des Buchttitels („Ich laufe keinem hinterher“) abhängt.
Also: Vergeßt die Analyse, die Zeit der Tat ist da! „Wenn du nicht 13.10min läufst, sondern 13.30min, dann hört nicht nur keiner zu, wenn du etwas sagst“, hat er doziert, „dann wirst du erst gar nicht gefragt.“ Im Ullevi-Stadion ist Dieter Baumann 13.39,98min gelaufen.
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