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Aus dem GerichtssaalIm Bett mit brennender Zigarette

■ Gericht verurteilt Brandstifter zu geringer Geldstrafe

Der Angeklagte, der im Gerichtssaal die Verhandlungspause abwartet, hat Mühe, die Augen aufzuhalten. Immer wieder fallen ihm die Lider zu. Sein Kopf schwankt leicht hin und her. Schließlich legt er sich mit dem Oberkörper auf den Tisch und schließt die Augen. Einen Moment später richtet er sich wieder auf und wirft einen flüchtigen Blick in den Zuschauerraum – doch seine Augen scheinen ins Leere zu blicken. Er wendet sich ab und schließt die Lider.

Daß ihm für einen Moment die Augen zugefallen waren, ist dem 28jährigen vor vier Jahren zum Verhängnis geworden und hat ihm jetzt eine Anklage wegen fahrlässiger Brandstiftung eingebrockt. Mit einer brennenden Zigarette war er auf seinem Bett „abgenickt“. Vorher hatte er sich mit Heroin „zugeballert“ und Tabletten geschluckt. Er wachte erst wieder auf, als ihm die Flammen die Hände „verkohlten“. Mit Wasser und einer Decke versuchte er den Brand zu löschen. Vergeblich. Er lief zu den Nachbarn, um sie zu warnen. Als wenig später die Feuerwehr kam, war die Wohnung schon völlig ausgebrannt. Der Sachschaden wurde damals auf 100.000 Mark geschätzt. Der Mann zog ins Hotel und dann zu den Eltern. Umgemeldet hat er sich nie. Drei Jahre brauchte die Staatsanwaltschaft, um ihn ausfindig zu machen.

Als die Tür aufgeht, schreckt der Angeklagte hoch. „So“, sagt der Richter und setzt sich. „Dann wollen wir uns mal über ihre persönlichen Verhältnisse unterhalten. Wollen Sie uns was dazu sagen.“ „Jaa“, antwortet der Angeklagte und nickt. „Ich bin mit 16 von zu Hause weg und zu meinem Bruder gezogen.“ „Später hab' ich eine Lehre als Raumausstatter angefangen. Aber nach einem halben Jahr hat mir mein Arzt geraten, die Lehre abzubrechen. Ich hatte Asthma.“ „Haben Sie mal versucht, was Neues anzufangen?“ will der Richter wissen. „Nee. Ich war sowieso schon drauf“, antwortet der Angeklagte und zuckt mit den Achseln. „Was haben sie genommen?“ „Heroin. Mit 14 das erste Mal. Mein Bruder hat's verkauft.“ „Nehmen Sie heute noch was?“ tastet sich der Richter behutsam vor. „Ja, Heroin und seit zwei Monaten Kodinsaft. Kauf' ich auf der Straße, den Kodinsaft“, erzählt der Angeklagte freimütig. „Dann begehen Sie ja eine Straftat nach der nächsten“, stellt der Richter fest. Der Angeklagte nickt. Therapie? „Ja, ich will jetzt entgiften und eine Therapie machen. Bisher hab' ich immer geglaubt, ich schaff' das allein.“ Der Richter räuspert sich. „Also ich will das mal so ganz frei fragen. Sie sind 28 Jahre alt. Die Hälfte ihres Lebens nehmen Sie schon Drogen. Bisher sind Sie noch nie wegen BTM (Verstoß gegen das Betäubungsmittel-Gesetz) verurteilt worden. Wie ist Ihnen das denn gelungen?“ „Hab' mich halt nie erwischen lassen“, grinst der Angeklagte.

Seine Offenheit kommt ihm scheinbar zugute. Der Angeklagte sei geständig, außerdem habe er die Nachbarn alarmiert und „sich nach Kräften bemüht, die Folgen des Schadens zu begrenzen“, wertet der Staatsanwalt zu seinen Gunsten. Eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen á 10 Mark hält er für angemessen. Dagegen hat auch der Richter wenig einzuwenden. Er verurteilt den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen a 15 Mark (1.800 Mark), die er in monatlichen Raten von 50 Mark abstottern kann. „Da bin ich wirklich glimpflich davon gekommen“, sagt der Mann später auf dem Flur. „Das war richtig milde von denen. Ich kann sogar vier Monate arbeiten. Keine schlechte Idee. Aber jetzt will ich erstmal nach Hause. Pennen.“ kes

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