Eine Frage der Noblesse

Beim Turnier um den „Goldpokal des Deutschen Polo-Verbandes“ bewegen sich die Spieler in den Pferdestapfen des Kaisers  ■ Aus Hamburg Jan Feddersen

Zwei Minuten vor der Schlußglocke springt Edda Darboven aus ihrem Campingstuhl hoch und ruft verzweifelt: „Kämpf, Atti, kämpf!“ Die Lieblinge der geborenen Prinzessin von Anhalt, die Männer vom Rover Polo Team, liegen mit 3:4 zurück gegen die Spieler vom Schloß Goehrde Polo Team. Als schließlich der Ausgleich fällt, hält es die Entourage des Kaffeekönigs Albert Darboven, genannt Atti, nicht mehr auf ihren Stühlen, werden die Sektgläser eilig auf den ausgedörrten Rasen gestellt.

Es wäre nur gerecht, wenn Darboven & Co. das Endspiel um den „Goldpokal des Deutschen Polo- Verbandes“ gewännen und damit Deutscher Polomeister in der High-Goal-Klasse würden. Schließlich versuchen die Polospieler von Schloß Goehrde, mit wenig feinen Mitteln den Sieg zu erringen. „Unfair, das ist unfair“, entfährt es Edda Darboven ein ums andere Mal. Wäre ja noch schöner, wenn beim Polo Sitten wie beim Fußball einrissen! Schließlich, so Axel Riecke, Präsident des Hamburger Polo Clubs, sei alles eine Frage der Fairneß.

Ein Sonntagnachmittag im Hamburger Stadtteil Groß-Flottbek. An der Jenischstraße liegt der älteste Poloplatz Deutschlands. 1898 eingerichtet und durch großzügige Spenden hanseatischer Kaufleute gepflegt, ist er heute die Arena eines der feinsten Sportvereine der Hansestadt: vom Hamburger Polo Club, einer von 16 in Deutschland, gewiß der nobelste von allen. „Schon der Kaiser spielte hier“, sagt stolz der alte Platzwart Helmut Cords.

Schloß Goehrde gelingt doch noch durch einen Rückhandschlag das 5:4, und eine Anhängerin der unterlegenen Mannschaft fragt enttäuscht: „Wozu sind die beiden berittenen Unparteiischen denn da, wenn sie unerlaubte Attacken nicht abpfeifen?“ Nur einer behält beim Getümmel nach der Schlußglocke die Ruhe: Atti Darboven. „Jetzt schon habe ich alles vergessen“, sagt er, „ist abgehakt.“ Der Mann zeigt Stil, kein Gejammer. „Das gleicht sich aus“, sagt der 59jährige. Und auf die Frage, warum er sich während der Partie nicht bei einem der beiden Schiedsrichter über deren seltsame Art, Regelverstöße ungeahndet zu lassen, beschwert habe: „Als Spieler steht mir das nicht zu.“ Und, mit einem Lachen untermalt: „Wäre ja noch schöner, wenn die Spieler die Regeln bestimmen.“

Eine feine Gesellschaft kommt zusammen, wenn der HPC zum Poloturnier lädt. Nicht wie beim Tennis am Hamburger Rothenbaum eine Zweiklassengesellschaft, die sich aus schlichten Zuschauern und Leuten mit Eintrittsberechtigung in eines der VIP- Zelte zusammensetzt. Beim Hamburger Polo Club wird nicht so deutlich getrennt, die Unterschiede stehen sowieso fest. Niemand zeigt dort seinen Wohlstand her, es würde sogar als unfein gelten. Man hat Geld, oder man hat es nicht, aber man spricht nicht drüber: Nirgendwo sonst wird dieses alte Hamburger Sittengesetz befolgt wie eben auf dem Gelände des Polo Clubs.

Aufsteiger und Parvenüs, die sich an diese Regel nicht halten, sagt Axel Riecke, Mitglied einer Hamburger Anwaltssozietät, die sich keineswegs mit kleineren Verkehrsdelikten am Leben hält, seien keinesfalls erwünscht. In den Verein kommt, wer „nett“ ist: Nur dieses Kriterium zählt. Wer gerade erst jüngst, nach den rauschhaften achtziger Jahren beispielsweise, zu Geld gekommen ist, womöglich mit anrüchigen Geschäften wie der Makelei, hat keine Chance. Nettigkeit: Lediglich für diesen Wesenszug muß der Bürge eines Anwärters auf Mitgliedschaft einstehen, nicht für den Kontostand. Ein Prinzip, das sich bewährt hat, Pannen fast ausgeschlossen. Nur vor Jahren habe einem einzigen Mitglied nahegelegt werden müssen, den Club zu verlassen: Davon abgesehen, daß er einer ausgesprochenen Vorliebe für „lilafarbene Cadillacs“ frönte und auch sonst durchaus der Protzerei mit goldenen Uhren und lauter Sprache zuneigte, sei jener auch nicht gut zu seinen Pferden gewesen.

Das ging natürlich nicht, Anstand zählt, auch gegen Tiere. Aufschneiderei und HPC sind zwei Welten, die nicht zusammenkommen können. Man hält auf die feine englische Art: sommers bei den Damen Hüte und luftige, immer kniebedeckende Kleider (Laura Ashley!), deren Farben nicht als zu schreiend empfunden werden können, bei den Herren zählt die legere Art, Maßgeschneidertes in Hemd und Hose zu tragen. Die Leute – auch dies anders als beim Tennis – durchweg gelassen, ja freundlich. Keine abschätzigen Blicke wie beim weißen Sport mit dem Filzball, Musterungen, ob das Gegenüber hilfreich für den eigenen Aufstieg sein könnte. Nein, man läßt sich nicht gehen, fährt auch keine aufgemotzten Schlitten. Jaguar, Morris, BMW oder auch Mercedes, aber nur selten Porsche.

Die Blicke – immer weit bis zum Horizont. Die Perspektive – nie kleinlich. Noblesse, wohin man schaut: Da wird ein deutscher Spieler schon mal eben aus Hongkong eingeladen, um ein Team zu verstärken, was beim Polo ungefähr auf das gleiche hinausläuft, als lüde sich der HSV einen Verteidiger vom FC St. Pauli zur Verstärkung gegen den VfB Stuttgart ein.

Nett sein: Wer den richtigen Ton trifft, darf auch ohne größeres Familienvermögen mitmachen. Die Winters beispielsweise haben, so ein Kenner der Szene, nun wirklich kein Geld. Das heißt, sie verfügen nicht über zweistellige Millionenbeträge. Sie sind hingegen ehrgeizig, Vater Klaus, leitender Angestellter im Im- und Exportbereich, sowie seine Söhne Thomas und Christopher. Ihnen steht Atti Darboven bei, wenn es gilt, mit frischen Pferden auszuhelfen. Man merkt Klaus Winter allerdings an, daß er nur vorwiegend nett ist. Denn fragt man ihn, wie er es so wegsteckt, viel Geld für Pferde ausgeben zu müssen, antwortet er eine Spur zu aufgebracht: „Wollen Sie damit sagen, daß ich mir nicht leisten kann, Pferde zu kaufen?“

Ein kleiner Patzer in der Tonlage, der bitte sehr überhört werden möchte. Viel typischer für diesen Sport sind die Sponsoren, wenn man denn schon Geldgeber zulassen muß – schließlich wollen die argentinischen Profispieler ihre Gage. Keine Sportartikelhersteller oder Getränkefirmen. Dafür das Bankhaus Leu, das nicht für den täglichen Kampf um überzogene Dispositionskredite steht, sondern für Anlageberatung und Vermögensverwaltung.

Man hält auf den feinen Ton. Anfeuerungschöre sind verpönt. Nur gelegentlich entfleucht manchem ein verhaltenes „Mist!“, wenn der Reiter wieder die weiße Kugel verfehlt hat. Die größte emotionale Beteiligung ist schon zu konstatieren, wenn eine Dame beim Zuschauen von der Clubhaustribüne das Glas ihres Eiskaffees etwas härter anfaßt, es nimmt und energisch mit einem Plop als Geräusch wieder zurückstellt.

Atti Darboven, die bekannteste Figur hanseatischen Kaufmannsadels, ist der Vater des hanseatischen Polo. Der Mann des „Idee- Kaffees“ („Koffein ist der Engel der Kaffeebohne“) ist Sproß einer Familie, deren Wurzeln sich bis zum Jahre 1158 zurückverfolgen lassen, und, so heißt es, habe einen Igel in der Tasche. Geizig bis zum Anschlag seien Hanseaten wie die Darbovens. Bei Pferden aber ist er großzügig: „Kaffee und Pferde sind mein Hobby“, erklärt er zur Begründung für seinen Hang, argentinische Polopferde, die kleiner und wendiger sind als Springpferde, en gros zu kaufen. Bis zu 15.000 Mark muß man pro Exemplar bezahlen. Es steht nicht zu befürchten, daß er bankrott ginge, würde er sich weitere 20 Tiere zulegen. Darboven ist ein Hanseat aus dem Bilderbuch: „Man soll sich immer so geben, wie man ist: offen, ehrlich, vor allem aber menschlich.“ Daß Polo sein Sport ist, bei dem er immerhin ein Handicap von +1 aufweist – lateinamerikanische Spitzenspieler erreichen +10, doch auch +1 reicht für deutsche Verhältnisse immer noch für einen Platz in den besseren Mannschaften –, muß nicht verwundern.

Das ganze Spiel ist – wie beim Fußball – darauf angelegt, Tore zu erzielen. Doch Hinterlistigkeiten sind verpönt. Kein Spieler darf die Reitbahn eines stürmenden Spielers kreuzen. Erlaubt ist hingegen das „Abreiten“, was auch schlicht als „Verdrängen“ bezeichnet werden darf, doch „Abreiten“ klingt vornehmer. Und dies genau charakterisiert auch den hanseatischen Kaufmannsgeist: Handel ist mit allen Mitteln erlaubt, doch niemand darf übers Ohr gehauen werden, schon gar nicht mit schmutzigen Tricks. Man will schließlich weiter Geschäfte miteinander machen. Wer gegen diese Regel verstößt, hat fürderhin keine Chance, in Rathaus und Handelskammer wirklich eine Rolle zu spielen. Daß gesellschaftlich dann alles verspielt ist, zum Beispiel, von Atti Darboven und Gattin während des Deutschen Galoppderbys Anfang Juli in Hamburg zu Tische gebeten zu werden, versteht sich von allein.

Die Zuschauer stoßen am Ende mit Champagner an. War wieder ein schönes Wochenende. Keine Verletzungen, die Sanitäter hatten nichts zu tun. Nicht wie vor Jahren, als einen Reiter die Polokugel oberhalb des Auges traf. „Mit verschwollenem Gesicht mußte er anderntags zur Seegerichtsverhandlung“, sagt Henry Todd, ein Tweedhändler aus Hamburg und Polofreund. Histörchen, die immer wieder gerne erzählt werden. Und Clubpräsident Axel Riecke wird gefragt: „Geht es Ihnen gut?“ Knapp und herzlich seine Antwort: „Ja, am liebsten.“