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Ein Krieg der Gewehre und der Worte

Das Bergland Kaschmir ist der älteste Zankapfel zwischen Indien und Pakistan. Indien spricht von islamistischen Söldnern, Pakistan geißelt Indiens Menschenrechtsverletzungen  ■ Von Dominic Johnson

Indiens Premierminister Narasimha Rao zelebrierte gestern den indischen Unabhängigkeitstag in gewohnter Manier. In seiner Rede griff er Pakistan wegen der Geiselaffäre in Kaschmir scharf an und sprach von „Terrorismusexport“. Die kaschmirische Gruppe „al-Faran“ hatte im Juli fünf westliche Touristen entführt und nach dem Tod ihrer ersten Geisel am Wochenende gedroht, die vier anderen auch umzubringen, falls Indien nicht 15 kaschmirische Unabhängigkeitskämpfer aus der Haft entläßt. Verhandlungen blieben bis gestern ohne Fortschritte.

48 Jahre nach der Teilung Britisch-Indiens in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan dominiert somit immer noch das Kaschmir-Problem die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Bruderstaaten. Das von einem Hindu-Sultan regierte, aber mehrheitlich muslimische Kaschmir war eines der vielen halbsouveränen Fürstentümer innerhalb Britisch- Indiens. 1947 war der Maharadscha von Kaschmir einer von drei Fürsten, die sich nicht rechtzeitig zum Teilungs- und Unabhängigkeitstermin des 15. August entscheiden konnten, ob sie zu Indien gehören wollten oder zu Pakistan. Eine muslimische Bewegung jagte schließlich am 3. Oktober 1947 den Maharadscha davon und rief eine eigene Regierung aus. Daraufhin erklärte der flüchtige Fürst am 26. Oktober schnell seinen Beitritt zu Indien, woraufhin die indische Armee einmarschierte und drei Fünftel des Landes eroberte. Der Rest wurde gleichzeitig von Soldaten aus Pakistan besetzt.

Der darauffolgende Krieg zwischen Indien und Pakistan endete erst Anfang 1949 durch die Festlegung einer Waffenstillstandslinie durch die UNO, deren Sicherheitsrat zuvor gefordert hatte, die Kaschmiris selber über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden zu lassen. Ein solches Referendum hat es aber nie gegeben. Indien und Pakistan verwalten jeweils ihren Teil Kaschmirs, und vor allem in Indisch-Kaschmir werden die fremden Herren als ungeliebte Besatzer gesehen. Seit 1990 herrscht im indischen Teil Kaschmirs offener Bürgerkrieg.

Am meisten politisches Gewicht hat auf kaschmirischer Seite die Unabhängigkeitsbewegung „Jammu & Kashmir Liberation Front“ (JKLF), die 1977 im britischen Exil entstand und deren Führer Amanullah Khan seit seiner Deportation aus Großbritannien 1986 im pakistanischen Exil lebt. Militärisch schlagkräftiger sind aber die seit einigen Jahren operierenden islamistischen Rebellengruppen, die nach Ansicht von Beobachtern mehr oder weniger stark von Pakistan abhängig sind und sich mit den Überschüssen des nahen afghanischen Bürgerkrieges ausgerüstet haben.

Nach indischer Darstellung begann die „Internationalisierung“ des Kaschmir-Krieges 1991 mit der Ankunft von libyschen Ausbildern in den Trainingslagern des pakistanischen Geheimdienstes ISI. 1994 habe der ISI mehrere hundert ausländische Söldner in einer neuen Truppe namens „Harkat ul-Ansar“ zusammengeführt; dieser Gruppe sollen auch die Kidnapper der „al-Faran“ entstammen. Die Berichte über eine angebliche islamistische Internationale in Kaschmir sind jedoch auch Teil eines Propagandakrieges. Von pakistanischer Seite wird im Gegenzug auf die detaillierten Berichte von Menschenrechtsorganisationen verwiesen, denen zufolge seit 1990 weit über 20.000 Zivilisten in Kaschmir der indischen Armee zum Opfer gefallen sind.

Seit Anfang 1994 versucht Indiens Premierminister Rao in Kaschmir Schritte zu einer politischen Lösung einzuleiten. Prominente politische Häftlinge wurden freigelassen, und mit Gruppen wie der JKLF und den in der „Hurriyet-Konferenz“ zusammengeschlossenen politischen Parteien hat ein Dialog begonnen, der nach indischer Absicht möglichst noch dieses Jahr in Wahlen zu einer zivilen Provinzregierung anstelle der bisherigen Militärverwaltung münden soll. Die islamistischen Gruppen haben ihrerseits ihre militärischen Aktivitäten verstärkt.

Dennoch stellt sich die Frage, wer die bisher unbekannte „al-Faran“ eigentlich ist. Im Mai begann die indische Presse regelmäßig vor einer bevorstehenden Welle von Entführungsaktionen zu warnen. Indem „Al-Faran“ dieser Vorhersage so prompt folgte und so offensichtlich grausam mit ihren Geiseln umgeht, bestätigt sie nur zu glatt die Sichtweise, wonach die indische Armee Kaschmirs Bevölkerung vor „Terroristen“ schützt. Ein Militärschlag gegen „Al-Faran“ fände als erste indische Militäroperation in Kaschmir den Beifall der Weltöffentlichkeit. „Menschenrechte gelten nur für die Bürger von Kaschmir“, giftete die indische Hindustan Times schon am 10. Juli, wenige Tage nach dem Beginn der Geiselaffäre. „Söldner aus dem Ausland verdienen keine menschliche Behandlung.“

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