: „Ein Pfarrer ist doch kein Postbote!“
Die evangelische Kirche will ihre Pfarrhäuser juden- und muslimrein halten. Wer einen andersgläubigen Partner heiratet, verliert den Pfarrerjob oder wird erst gar nicht eingestellt ■ Aus Berlin Bascha Mika
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst – aber nur wenn er deiner Kultur, deiner Religion, deiner Kirche angehört? Die Evangelische Kirche will ihre Pfarrhäuser juden- und muslimrein halten. Toleranz gegenüber Andersgläubigen wird zwar gepredigt, doch die Praxis sieht anders aus: Wenn eine Pfarrerin einen Juden oder Muslim heiratet, kann sie aus dem Amt fliegen; sollte sie noch in der Ausbildung sein, bekommt sie mit diesem Ehepartner garantiert keinen Gemeindejob. „Ein Pfarrer ist doch kein Postbote“, sagt Reinhard Stawinski von der Berlin- Brandenburgischen Kirche, „und wenn sie Brillenträger sind, können sie schließlich auch nicht Pilot bei der Lufthansa werden.“ Fast zwei Jahrtausende konnten die Kirchen im christlichen Abendland ihrem Absolutsheitsanspruch frönen. Die aktuelle Kirchendiskussion nagt an genau diesem Anspruch; sie stellt in Frage, was die Großkirchen ganz selbstverständlich für sich reklamieren: daß sie im alleinigen Besitz der religiösen Wahrheit sind, daß sie deshalb ihre Symbole über den Staat verbreiten und ihre Steuern mit seiner Hilfe einziehen dürfen. Die säkularisierten BürgerInnen wehren sich – und sei es mit Kirchenaustritten.
Evangelische Pfarrer haben nicht die Möglichkeit, sich dem religiösen Herrschaftsgebaren zu entziehen. Sie sind ihrer Kirche auch in den intimsten Lebensbereichen ausgeliefert. Selbst die Familie wird als Geisel der protestantischen Überzeugung genommen.
„Der Ehegatte eines Pfarrers hat der Evangelischen Kirche anzugehören,“ heißt es unmißverständlich im Pfarrerdienstrecht der Württembergischen Landeskirche. So oder ähnlich klingt es auch im Dienstrecht der anderen 23 Landeskirchen. Das bedeutet: Schwierigkeiten gibt es bereits, wenn der Partner einer anderen christlichen Kirche angehört, zum Beispiel katholisch oder baptistisch getauft ist. Ökumene? Natürlich, solange sie nur Programm bleibt.
Programm ist bei der Evangelischen Kirche auch der jüdischchristliche oder muslimisch-christliche Dialog. In Seminaren und auf Kirchentagen. Aber wer Interreligiösität praktiziert, kann sich sein Gemeindeamt in der Regel abschminken.
In Baden wurde ein Pfarrer, der eine Jüdin geheiratet hatte, entlassen; er durfte nur als Religionslehrer weiterarbeiten. In Bayern bekommt ein Vikar wegen seiner jüdischen Frau keine Pfarramt. Denn der Pfarrer, so die Argumentation des Kirchenamtes, habe sich „in Amts- und Lebensführung so zu verhalten, wie es dem Auftrag entspricht“. Das „Konfliktpotential“ in einer „multireligiösen Pfarrfamilie“ wäre nicht mit dem „geordneten Dienst“ vereinbar. Und wenn das Paar unbedingt eine Pfarrstelle haben wolle, könne die Frau ja konvertieren. Trotz aller öffentlichen Bekenntnisse lebt da offenbar der 2.000 Jahre alte christliche Antijudaismus fort.
In Berlin hat sich ein Theologe über ein Jahrzehnt mit verschiedenen Anstellungen durchschlagen müssen – das Pfarramt wurde ihm wegen seiner muslimischen Frau verweigert. Nach einer Synodenentscheidung vom letzten Jahr wurde seine Anstellung dann im „Ausnahmefall“ immerhin möglich. Ausnahmeregelungen gibt es inzwischen in einigen Landeskirchen.
Die Institution verteidigt diese Wagenburgmentalität mit der Vorbildfunktion des Pfarrers. Völlig antiquiert geht sie davon aus, daß die ganze Familie den Pfarrer in seiner Arbeit zu unterstützen habe – praktisch und ideell. Vor allem die Frau und selbstverständlich unentgeltlich. „Pfarrer zu werden ist eine Lebensentscheidung“, sagt Detlev Fey von der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, „andere Entscheidungen müssen damit im Einklang stehen.“ Vor allem die Gemeinde sei durch eine unorthodoxe Pfarrersfamilie gefährdet, die „Andersartigkeit des Ehepartners“ könne zu „Spannungen“ führen. Außerdem, so Fey, werde ein solcher Pfarrer in den meisten Landeskirchen ja nicht automatisch seines Dienstes enthoben, sondern nur, wenn die Gemeinde es wünsche. Im Klartext: Wenn einer Gemeinde die muslimische Frau des Pfarrers nicht paßt, kann sie das Paar rauswerfen. Rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen? Fey: „Das wäre reine Interpretation.“
Das Ganze sei ein Problem der „Glaubwürdigkeit“, meint sein Kollege Stawinski aus Berlin- Brandenburg, „niemand ist schließlich gezwungen, Pfarrer zu werden“. Aber wenn, „dann muß man doch von ihm erwarten können, daß er seine Kinder christlich erzieht“. Zum Trost verweist Stawinski auf Rabbiner und Imame: Auch sie würden Mischehen entschieden ablehnen.
Statt soviel Angst um die Reinheit ihres Glaubens zu haben, könnte die Kirche die Vorbildfunktion des Pfarrers tatsächlich ernst nehmen: als Beispiel für interreligiöse Dialog- und Diskussionsfähigkeit. Wir leben schließlich nicht mehr in Heinrich Heines Zeiten, für den „der Taufzettel das Entreebillet für die europäische Kultur“ war.
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