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Denken im Schatten der Bombe

■ betr.: „Hiroshima mon amour ...“, taz vom 8. 8. 95

Einmal außer acht gelassen, ob es „ohne die Bombe diese herrlich funktionierende Bundesrepublik Deutschland nie gegeben (hätte)“, gehört schon eine Dummdreistigkeit sondergleichen dazu, im gleichen Atemzug – und dabei riecht's mächtig nach Fusel, weil der Herr schon am Toast nippte, bevor er zu schreiben anhub – Günther Anders als Hauptentlastungstäter vorzuführen, dessen „Denken im Schatten der Bombe“, die „heller als tausend Sonnen strahlte“, angeblich die Erinnerung und Schuld der Deutschen an Auschwitz wegblendete; quasi als Lehrmeister, der daran mitwirkte, daß sie die Bombe lieben lernten.

[...] Was das Wegblenden von „Auschwitz und Mauthausen und Bergen-Belsen“ betrifft, wohlgemerkt im „Schatten der Bombe“, so wäre bei Günther Anders nachzulesen gewesen: „Auschwitz ist trotz der Tatsache, daß die Welt nicht durch Auschwitzs, sondern durch Hiroshimas zugrunde gehen wird, moralisch ungleich entsetzlicher gewesen als Hiroshima.“ Wo's steht, wird der findige Polemiker schon selbst eruieren, wenn er sich ins Blendwerk jenseits des Hades begibt. Am Ende des Absatzes faßt Winkler zusammen: „Soviel Entlastung war nie.“ Was wie ein Aufschrei klingen möchte, kommt als entgleiste Dichtung daher. Die Paraphrase auf Hölderlin denunziert den unerbittlichen Diagnostiker unserer Apokalypseblindheit als einen Geschichtsentsorger und Nebelwerfer par excellence. Der da schrieb „ich komme von dem Orte, an dem zu sterben, an dem umgebracht und zu Müll verarbeitet zu werden mir eigentlich bestimmt gewesen war“, der Jude Stern, der Auschwitz erst „danach“ aufsuchte, wußte wohl, warum er sich nach der Emigration nicht im Land der Dichter und Henker niederließ. Auch nannte er sich dann Anders. Er hatte keine Wahl, denn wußte, was nachwächst. Harald Heck, Hamburg

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