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Er war wortgewandt, witzig und selbstironisch. Seine politische Bühne war der Wirtshaustisch, wo man beim Rum die Weltrevolution plante. Für die Regierung in El Salvador war der Lyriker Roque Dalton ein Subversiver, für seine Genossen ein unbequemer Querkopf. Die CIA versuchte, ihn als Spitzel zu werben. Ralf Leonhard über einen Revolutionär, den seine Freunde liquidierten. Nicht mal vergraben wurde der, sondern:

Zerfleischt von Hunden und Aasvögeln

Das Revolutionstribunal tagte in einem Wohnhaus im Stadtteil Santa Anita von San Salvador. Sechs junge Männer saßen über zwei andere zu Gericht: Der eine ist der Nachwelt nur als „Pancho“ bekannt, Spezialist für Sprengstoff und selbstgebastelte Bomben, der andere hatte als Dichter einen Ruf weit über die Grenzen von El Salvador hinaus: Roque Dalton. Die Anklage lautete auf „Spaltungsversuch der revolutionären Organisation“ und „Kollaboration mit dem US-Geheimdienst CIA“. Das Urteil, Tod durch Erschießen, wurde sofort vollstreckt. Man schrieb den 10. Mai 1975.

Roque Dalton war eine der schillerndsten Figuren der salvadorianischen Kulturszene der sechziger Jahre. Wortgewandt, witzig und selbstironisch produzierte er Lyrik am laufenden Band, schrieb Dramen und wurde mit 23 Jahren Direktor der Universitätsbühne. Nach dem Besuch des Weltjugendfestivals in Moskau 1956 trat er der Kommunistischen Partei bei. Damals war die salvadorianische KP Hoffnungsträger für all jene, die der korrupten Militärregimes, die sich alle paar Jahre durch Putsch ablösten, müde waren.

Zwar wurde der Kommunistenführer Farabundo Marti, der im Jahre 1932 einen Bauernaufstand organisiert hatte, als Held verehrt. Nachdem der Aufstand im Blut von 30.000 Campesinos erstickt wurde, dachte jahrzehntelang keiner mehr an bewaffneten Kampf oder politische Arbeit mit den eingeschüchterten Bauern.

Roque Dalton gehörte nicht zu den Leuten, die auf die Barrikaden stiegen und Generalstreiks organisierten. Sein Forum waren die Intellektuellenzirkel, seine bevorzugte Bühne der Wirtshaustisch, an dem die Weltrevolution zwischen zwei Flaschen Rum geplant wurde. Die Debatten kreisten um die noch junge kubanische Revolution, um Vietnam und die Notwendigkeit radikaler Reformen im eigenen Land. Dalton verstand es, trotz seines politischen Engagements das unabhängige Denken zu bewahren. Das war sein Unglück. Denn für die Regierung war er ein Subversiver und für die Partei ein unbequemer Querkopf.

Anfang der sechziger Jahre wurde Dalton nach Kuba eingeladen, wo er im Auftrag der Casa de las Américas zwei Theaterstücke schreiben sollte. Kurz nach seiner Rückkehr nahm man ihn fest und steckte ihn wochenlang in den Polizeikerker von Cojutepeque, 35 Kilometer östlich von San Salvador. Ein aus Washington angereister CIA-Agent bot ihm einen Deal an: Dalton solle für den Geheimdienst arbeiten, die verborgenen Treffpunkte des Zentralkomitees preisgeben, Genossen verpfeifen und strategische Pläne der Partei.

Die Szene ist im autobiographischen Roman „Armer kleiner Dichter, der ich war“ lebendig festgehalten und beweist den Sinn des Schriftstellers für die tragikomischen Aspekte des Lebens: „Es war das erste Mal, daß ein US- amerikanischer Polizist, ein CIA- Offizier, persönlich an einem politischen Verhör in El Salvador teilnahm. Ich gebe zu, daß ich nicht an den Affront gegen die nationale Souveränität dachte, den dieser Umstand bedeutete. In Momenten wie jenem kann man es sich leisten, ein bisserl ahistorisch zu sein und ein paar Augenblicke in erster Linie an die eigene Haut zu denken.“

Der CIA-Agent behauptete, beweisen zu können, daß Dalton von den Kubanern dazu ausersehen sei, in El Salvador den bewaffneten Kampf zu organisieren. In Havanna hätte er nicht geschrieben, sondern militärisches Training und doktrinäre Schulungen absolviert.

Die Vorwürfe beweisen, wie die CIA danebenlag. Denn die salvadorianische KP hatte kurz vorher den Gedanken an den bewaffneten Kampf verworfen und beschlossen, die zaghafte Öffnung des Regimes auszunützen, um „die Massen zu gewinnen und auf friedlichem Weg weiterzukommen“. Erst nach dem Wahlbetrug 1977 entschied sie sich als letzte der revolutionären Organisationen für den Guerillakrieg.

Dem Dilemma zwischen Verrat und Tod entkam der Dichter – durch eine erdbebengeschwächte Wand seines Kerkers. Über Parteikanäle wurde er nach Prag geschleust. Mit seinen vielen Kneipen und einem intellektuellen Klima – wenige Jahre vor dem Niederwalzen des Prager Frühlings – fühlte er sich gut aufgehoben. Schließlich ließ er sich aber mit seiner Familie in Kuba nieder. Was sollte er tun? Er schwankte noch zwischen der Eingliederung in den Befreiungskampf der Sandinisten in Nicaragua und der Teilnahme an der Neugründung der Guerilla Guatemalas, als er mit Landsleuten in Kontakt gebracht wurde, die den bewaffneten Kampf vorbereiteten. Noch im Exil schloß er sich dem eben gegründeten „Revolutionären Volksheer“ (ERP) an, einer radikalen Gruppe, die den Sozialismus via Volksaufstand installieren wollte. 1973 verabschiedete sich Roque Dalton von seiner Familie in Kuba und kehrte heimlich in die Heimat zurück. Vorher war ein Schönheitschirurg nötig, denn seine unverwechselbare Häßlichkeit, vor allem die schiefe Nase, hätten ihn schnell verraten.

Was Dalton nicht wußte: mit welch sektiererischem Kleingeist die Linken in El Salvador einander bekriegten. Jede der Organisationen beanspruchte für sich, Alleininhaberin der wahren Lehre zu sein. Arbeit mit den Massen oder Vorbereitung bewaffneter Zellen, Che Guevara oder Ho-Chi-Minh, Moskau oder Peking, Bündnis mit progressiven Christen oder kubanische Kirchenfeindlichkeit – Streitpunkte gab es zu Hunderten, und keiner konnte es sich leisten, mit der falschen Literatur unter dem Arm erwischt zu werden.

Kein Wunder, daß der undogmatische Roque Dalton ständig aneckte. Seine Texte galten als nicht linientreu genug; seine Aufforderungen zur Diskussion wurden als ideologische Abweichung und Spaltungsversuch gedeutet. Mit dem Vorwurf, im Sold der CIA zu stehen, waren die Linken gegen unbequeme Mitstreiter ohnehin schnell zur Hand. Und der Verdacht, daß sich die Flucht aus dem Gefängnis von Cojutepeque nicht so abgespielt hatte, wie Dalton sie in seinem literarischen Zeugnis schilderte, verdichtete sich für die Kollegen langsam zur Gewißheit.

Roque Dalton und „Pancho“ wurden von ihren Genossen festgesetzt und am Muttertag 1975, wenige Tage vor dem 40. Geburtstag Daltons, erschossen. Hat ein Prozeß stattgefunden? Die wenigen überlebenden Zeugen hüllen sich darüber in Schweigen. Alejandro Rivas Mira, alias Capitán Santiago, desertierte später und legte sich eine neue Identität zu. Vladimir Rogel und Alberto Sandoval sind tot, von einem gewissen Mateo weiß man den bügerlichen Namen nicht. Jorge Melendez, besser bekannt als Comandante Jonas, ist heute Parlamentsabgeordneter, Joaquin Villalobos Gründer der sozialdemokratisch orientierten „Demokratischen Partei“. Villalobos, damals gerade 23 Jahre alt, wurde in den achtziger Jahren zum militärisch erfolgreichsten Guerillakommandanten.

Fast zwei Jahrzehnte weigerte er sich, über die Affaire zu reden. Nach dem Friedensschluß im Jahr 1992 und der Legalisierung der Guerillaorganisationen als politische Parteien konnte er nicht länger schweigen. In einem Interview mit Juan José Dalton, dem ältesten Sohn des Poeten, gab Villalobos zu, daß die Exekution Daltons einer der größten Fehler war.

Roque Dalton beharrte während der geheimen Sitzung wiederholt auf einer Untersuchung der Vorwürfe. „Auch während der Exekution leistete er noch Widerstand und protestierte gegen das Unrecht“, berichtet Villalobos, geplagt von Schuldgefühlen. Den Vorwurf, daß er selbst den Henker gespielt hätte, konnte Villalobos, alias Atilio, nie glaubwürdig entkräften. Und Vladimir Rogel, der den Abzug gedrückt haben soll, kann sich nicht mehr wehren. Er wurde ein Jahr später selber Opfer einer innerparteilichen Säuberung.

Es fällt schwer, im flexiblen Pragmatiker Villalobos, der sich letztes Jahr von der Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) löste und vor wenigen Monaten ein Bündnis mit der rechten Arena- Partei von Präsident Armando Calderón Sol schloß, den ideologisch verbohrten Fanatiker wiederzuerkennen, der vor zwanzig Jahren überzeugt war, nur mit dem Tod Roque Daltons könne die Revolution gerettet werden.

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit ist durch eine Generalamnestie aus der Welt geschafft. Die Absolution vor der Geschichte aber wird den Tätern verwehrt bleiben: Kurz nach den Friedensverträgen 1992 vertröstete Villalobos die Hinterbliebenen Daltons mit dem Hinweis, seine Leute würden versuchen, die Überreste des exekutierten Dichters zu finden. Warum die Lokalisierung der Gebeine so kompliziert war, erfuhr man erst nach der Einschaltung der UN-Mission für El Salvador durch die Familie Dalton.

Die Leichname von Dalton und Pancho waren in El Playón, wo die rechten Todesschwadrone ihre Opfer deponierten, abgeladen worden. Dort müssen sie von streunenden Hunden und Aasvögeln zerfleischt worden sein.

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