■ Was Deutschlands Autobauer von Japan lernen können
: Kulturrevolution in den Fabriken

Im Frühjahr 1950 reiste ein junger japanischer Ingenieur namens Eiji Toyoda nach Amerika, um sich die damals modernsten Autofabriken der Welt anzuschauen. Doch was er sah, enttäuschte ihn: Das Fließband dominierte den Produktionsrhythmus, und viele Arbeiter waren nicht ausgelastet. Eiji Toyoda nahm sich vor, Autos in Zukunft effizienter und arbeitsplatzgerechter herzustellen. Das Ergebnis seiner Bemühungen – das „Toyota-Produktionssystem“ oder, anders gesagt, die sogenannte schlanke Produktion – verkündete im Westen erst viele Jahre später ein Buch des „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) mit dem Titel „Die zweite Revolution in der Autoindustrie“.

45 Jahre nach seiner Amerikareise versucht Eiji Toyoda in diesen Tagen noch einmal, die Richtung der Autoindustrie – und vielleicht der Industrieproduktion schlechthin – neu zu bestimmen. Als heute 81jähriger Ehrenpräsident von Toyota war er maßgeblich dafür verantwortlich, daß mit dem 62jährigen Hiroshi Okuda in der vergangenen Woche ein ganz neuer, westlich orientierter Managertyp die Steuerung der immer noch effizientesten Autowerkstatt der Welt übernahm. Okudas Programm – wenngleich von anderen bereits erprobt – heißt Globalisierung. Doch gerade bei Toyota will das etwas heißen. Es impliziert nämlich die konsequente Internationalisierung eines Produktionssystems, das zwar von aller Welt bereits kopiert wird, aber von seinen Schöpfern stets als ein japanischer Weg der Herstellung empfunden und deshalb selbst in den Auslandsfabriken von Toyota nur halbherzig praktiziert wurde. Umgekehrt setzt sich freilich Toyota nun ganz neuen Einflüssen aus: Westliche Manager sollen in der Toyota-Stadt in Zukunft mit entscheiden.

Welche Zäsur es für die deutsche Autoindustrie markiert, wenn ein Hersteller wie Toyota, dessen Arbeiter nur auf die japanische Art doppelt so effizient wie ihre deutsche Kollegen produzieren, seine Methoden internationalisiert, ist kaum abzusehen. Allerdings wird vor dem Hintergrund der Entwicklungen bei Toyota schon heute deutlich, wie selbstherrlich und weltfremd in Deutschland die Debatte um die Autoindustrie geführt wird. Vor zwei, drei Jahren war man schon einmal weiter. Da hatten sich Manager wie Ferdinand Piäch und José López (beide VW) ausführlich mit japanischen Produktionsmethoden beschäftigt, und Politiker wie Gerhard Schröder und Erwin Teufel hatten vor Ort in Japan Ausschau gehalten. In der deutschen Rezession schien sich auch das politische Bewußtsein zu verankern, daß in den Fabriken in Wolfsburg und Stuttgart grundsätzlich etwas fehllief: Die IG Metall sprach von Teamarbeit, José López forderte die „kontinuierliche Verbesserung“. Damals fingen sogar die Intellektuellen an, das Fabrikwesen neu zu denken: „Wenn man bedenkt, daß ohne diese ,kontinuierliche Verbesserung‘ die ,Wertschöpfungskette‘ in Deutschland hoffnungslos zurückbleibt hinter dem, was in Japan stattfindet, dann ist das eher eine tröstliche Auskunft“, schrieb Martin Walser im September 1993, ausnahmsweise einmal nicht aus dem Elfenbeinturm.

Wer also die Autodebatte auf Fragen von Spritverbrauch, Tempolimits und Wochenendarbeit verkürzt, trifft nicht den Kern der gesellschaftlich notwendigen Diskussion. Noch immer geht es um eine Kulturrevolution in den Fabriken – weg von der entfremdeten Arbeit, aber auch weg von nationalen Produktionsmodellen. Daß einen Eiji Toyoda genau diese Fragen zu neuen betriebspolitischen Weichenstellungen bewegen, sollte also zum Mitdenken anregen. Wie begann doch gleich die MIT-Studie? „Die Automobilindustrie ist heute immer noch der größte Industriezweig der Welt.“ Georg Blume, Tokio