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War Winnetou bei der Stasi?

■ „die horen“ präsentieren Karl-May-Special mit Ost/West-Standpunkten

Wenn eine etablierte Literaturzeitschrift wie „die horen“ sich auf 268 Seiten einem Trivialliteraten widmet, der weder Geburts- noch Todestag hat, dann muß es einen Grund dafür geben. Um diesem Phänomen näherzukommen, spielen wir jetzt ein kleines Spiel. Ich sage einen Begriff, und Sie sagen ganz schnell, was Ihnen dazu einfällt, ohne nachzudenken! Los geht–s:

Old Shatterhand – Karl May

Kara Ben Nemsi – Karl May

Winnetou – Karl May

Radebeul – Pilsener

Na ja, der Anfang war nicht schlecht, aber der Schluß läßt ahnen, daß Sie doch kein richtiger KM-Fan sind, sonst wäre Ihnen die neu erschlossene Pilgerstätte bekannt. Sie sind wahrscheinlich männlich (Frauen sind gegen KM nachgewiesenermaßen suchtresistent), von unbestimmbarem Alter (Opas, die ihren Enkeln die Bücher klauen, sind der Autorin namentlich bekannt) und haben im Keller noch einige von den dunkelgrünen Büchern mit Goldschrift versteckt. Die können Sie jetzt getrost herausholen und gut sichtbar im Regal plazieren, denn: Karl May, der schriftstellernde Schreibtischtäter, der, ohne einen Indianer gesehen zu haben, Generationen von Jungen dazu brachte, sich die Arme aufzuritzen, um Blutsbrüderschaft a la Winnetou zu feiern, ist wieder in!

Sogar unser Bundespräsident ist bekennender KM-Fan. Wie auch Arno Schmidt, Martin Walser, Hans Wollschläger und Millionen weiterer Leser. Denn laut „Spiegel“ hält Karl May mit einer verkauften Auflage von 80-100 Millionen Exemplaren den deutschen Rekord – nicht Goethe.

Aber nicht dieses Massenphänomen ist Thema des Karl-May-Specials, sondern „Winnetou in Dresden – oder wie man dem „Landsmann Karl“ zu Leibe rückt(e).../ Zur Karl-May-Rezeption in Ost und West“.Das Doppelband ist fein säuberlich zwischen West und Ost aufgeteilt, je 130 Seiten, neun Autoren hier, fünf Autoren dort, ausschließlich Männer auf beiden Seiten. Soweit der äußere Rahmen. Auffallend ist, daß die Westler durchweg über Karl May reden, die Ostler hingegen über sich und die Stasi.

Liest sich die Geschichte des real-sozialistischen Tauziehens um den Schriftsteller anfänglich noch spannend, so wird sie von Autor zu Autor mühseliger. Fünfmal „Karl May und die DDR-Kulturpolitik“ sind einfach zuviel. Und beim genaueren Hinschauen wird klar, daß auch hier angeschwärzt und reingewaschen wird. Bestes Beispiel: Hainer Plaul, der auf 61 Seiten mit 215 Fußnoten „Die Szene um Karl May als Zielobjekt der Staatssicherheit“ unter die Lupe nimmt.

Im Westen dagegen ernsthafte Ergriffenheit. Zumindest bei Walther Ilmer. Das Schicksal Karl Mays beschäftigt ihn, ganz besonders die Spiegelung des Lebens im Werk. Der ehemalige Krimiautor hat herausgefunden, daß es einen unleugbaren Zusammenhang zwischen Mays (innerdeutschen) Reisen und seinen Schicksalsschlägen gibt. Sozusagen pro Reise ein Schlag. Für Ilmer ist klar: Schreiben war lebensrettende Therapie für KM. Und wer schuld an Mays Unglück ist, das hat Ilmer auch schnell herausgefunden: „Das vergebliche Ringen um die mütterliche Liebe dieser spröden und so verräterisch als ,Heilige– bezeichneten Frau bildete die Grundlage für Karl Mays zahlreiche Verirrungen.“ Auch Peter Krauskopf betreibt Ursachenforschung und nimmt sich besonders der Bedeutung der Türme und Höhlen in Mays Werk an. Speziell beim Nonnenturm in Plauen meint er nachfühlen zu können, daß dieser den Seminaristen May zur Masturbation angeregt haben muß. Auch Hans Wollschläger ist angetan, allerdings eher von sich. In einem Interview mit sich selbst erzählt er den Lesern in epischer Breite von den Wehwehchen eines Verlegers.

Aber dann: Haben Sie schon mal ein Hippogramm gelesen? Sollten Sie tun. Zuerst wird anderthalb Seiten lang geritten – in jedem Satz. Dann eine halbe Seite lang das Pferd betrachtet – auch in jedem Satz. Und ganz zum Schluß geht es um den Sattel, der ist wichtig – auch in jedem Satz. Geschrieben hat die Sätze übrigens Karl May. Gefunden und gesammelt hat sie jedoch Hippolyt Galipot. Das hat mir gefallen.

Gudrun Kaatz

Der Karl-May- horen-Band kostet 19 Mark

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