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Unterm Strich

Ein schweres Wochenende und ein schwarzer Montag für Günter Grass: Unbeeindruckt von dem Medien-Hype des Steidl- Verlags, der für „Ein weites Feld“, Grass' neuen Roman, mit noch nie dagewesenem Aufwand Werbung gemacht hatte, weisen die Kritiker den 784-Seiten-Brocken zurück. Den Anfang hatte am Samstag Gustav Seibt in der FAZ gemacht. In mildem, aber entschiedenem Ton erzählte der Literaturchef die Geschichte des jüngsten künstlerischen Scheiterns eines Möchtegern-Großschriftstellers: „Man hat Günter Grass auf einen falschen Weg gelockt. Irgendwann hat man ihn glauben lassen, er sei der repräsentative Nationalschriftsteller in der Nachfolge Thomas Manns und er habe die Pflicht, das Leben der Nation insgesamt mitzuleben und nachzugestalten. Und jetzt legt er Auftragswerke vor, Planerfüllungen, will belehren und bessern und fürs Ganze einstehen. So wurde der Roman ,Ein weites Feld‘, dieses Zeugnis bester Absichten, heroischen Fleißes und der Abwesenheit jeglichen Kunstverstandes, eine Totgeburt, ein Monstrum. Man soll sich von der Literatur, dieser hinterhältigen alten Dame, eben nichts wünschen.“

In diesem Text fällt für die rührige Presseabteilung des Steidl-Verlags kein einziges karges Sätzchen ab, mit dem man die weiteren Anzeigen schmücken könnte. Vielleicht hilft ein Blick in die Süddeutsche Zeitung, in den ellenlangen Riemen von Jürgen Busche, der mit dem verheißungsvollen Titel „Vom Glanz und Schmutz des deutschen Bürgertums“ gekrönt ist. Allein auch hier bleibt die Ausbeute gering, obwohl Busche zu schwanken scheint. Immerhin findet er: „Dieser Roman ist ein Berlin-Roman. Die Spaziergänge durch die Stadt gehören zu seinen überzeugenden Passagen, da wird der Gegenwartsroman anschaulich zum historischen Roman. Geschichte geht weiter, könnte man auch hier sagen, aber ebenso: Es geht nicht weiter ohne das Eingedenksein der Geschichte.“ Wie wahr, wie wahr. Aber vor allem fragt man sich da: Wann war Jürgen Busche zum letzten Mal in Berlin, wenn er diese Passagen überzeugend findet? Eigentlich weiß er überhaupt nicht recht, was er mit dem Werk anfangen soll: „Ein kühner Entwurf, ein beherzter Vortrag, der Ton ist mißmutig, die Sprache ist klar – gibt das schon einen gelungenen Roman? Das könnte am Ende doch von seinem Anspruch

abhängen, die Geschichte, die er hinter dem Rücken seiner Protagonisten erzählt, als die authentische Geschichte zu erweisen, über die nicht nur zu räsonieren, sondern von der zu reden wäre.“ Den Anspruch ... zu erweisen ... über die nicht nur zu räsonieren ... sondern zu reden wäre? Seit wann hängt denn das Gelingen vom Anspruch ab? Oft genug vollzieht es sich gegen den Anspruch, nur hier leider nicht, und das auszusprechen fehlt es Jürgen Busche an Worten, was sonst wahrlich nicht sein Problem ist. Daher auch der seltsame Eiertanz, wo es um die Sprache geht: Grass habe eine Novellen-Idee zum Roman aufgeblasen, schreibt Busche. Das klingt wie eine Rüge. Dann aber heißt es: „Das Vertrauen des Autors in seine Sprache erweist sich als berechtigt. So viele Hürden Grass auch für das schlichte Verständnis der Erzählhandlung aufbaut, wer sie einfach umgeht und sich darauf, daß andeutungsweise eine Handlung entfaltet wird, gar nicht einläßt, kann bei dieser Lektüre der breit ausgeführten Szenen und Genrebilder durchaus auf seine Kosten kommen.“ Grass hätte also sein ganzes „Können und Gewicht als berühmtester deutscher Schriftsteller der Gegenwart“ darauf verwendet, Hürden vor einer dürftigen Handlung aufzubauen, die wir umgehen sollen, um zu den sprachmächtigen „Genrebildern“ zu gelangen? Ach, die Sprachmacht und das ganze Gewicht des berümtesten deutschen Inlandsressortleiters sind ja schon fast zuviel für unsereinen: „Auch der beeindruckend gebildete Bücherfreund wird, selbst wenn er nach Maßgabe seiner Vorlieben ein Kenner Fontanes ist, beim Deuten der Zitate und Bezugnahmen nicht weit kommen.“ Und so auch hier: Auch der beeindruckend gebildete Freund des Feuilletons der SZ wird, selbst wenn er nach Maßgabe seiner Vorlieben ein Kenner Busches ist, beim Deuten der Zitate und Bezugnahmen nicht weit kommen.

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