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Freigesetzte Verstauungs- phantasien

Plastiktütenmobiliar als Persiflage des gegenwärtigen Designfetischismus: Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt „Möbel der Armut – Grenzgänger der Wohnkultur“  ■ Von Kai Voigtländer

Wer trendy eingerichtet sein will in den nüchternen 90ern, der übt sich in Neuer Bescheidenheit. Verspielte Neobarockschränkchen? Mega-out. Der feinziselierte Metallkandelaber? Auf den Dachboden mit dem Krempel. Chromglanz und spiegelblanke Lackoberflächen? Höchstens noch fürs Gästezimmer. Der Leitstern der Designerzunft, Philippe Starck, bringt mit seinem „puristischen Massivholzkonzept romantische Behaglichkeit ins Schlafzimmer“, wispert das Fachblatt der Inneneinrichter. Und für das Badezimmer, gerade erst vom Klo zum erlebnisintensiven Wohnraum hochgepuscht, „zitiert“ Starck die gute alte Waschschüssel.

Ganz natürlich bringt sich der Charme des einfachen Lebens in Erinnerung, wenn das Geld nicht mehr so locker sitzt. Zum öffentlich demonstrierten und beschworenen Sparzwang fügt sich der Schreibtisch in Buche natur viel organischer (und ökologischer!) als das Vorgängermodell aus poliertem Vogelaugenahorn. Trendsetter des Lifestyle, schaut auf das Leben der einfachen Leute! Ganz in diesem Sinne richtet das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung unter dem Titel „Möbel der Armut – Grenzgänger der Wohnkultur“ aus. Ganz in diesem Sinne? Durchgestylte Möbel und situationsbezogene Gebrauchsgegenstände für Obdachlose – das wäre dann sozusagen der Gipfel der Neuen Bescheidenheit. Und ein neuer Gipfel der Geschmacklosigkeit – wenn es denn so gemeint wäre. Im Zentrum der Ausstellung steht der pure Luxus: edel, elegant und erlesen – und zu nichts zu gebrauchen. Der „Spanische Altar“ spreizt sich auf geschwungenen, spitz zulaufenden Beinchen, flankiert von vier sinnlos gekrümmten Kerzenhaltern. Nußbaum, Ahorn und Pappelmaser verleihen dieser Parodie auf eine Kommode den Hauch der Exklusivität. Plaziert ist sie auf einem Sockel, von dem kreisförmig runde Holzstangen abwehrend in den Raum stacheln. Zusätzlich ist das Objekt noch mit einer Rolle Stacheldraht abgesichert. „Kommt mir bloß nicht zu nahe“ – die bildgewordene Kritik am selbstgenügsamen Narzißmus der Designfetischisten.

Der Spanische Altar ist ein Gesellenstück – und der eigentliche Ausgangspunkt für die „Möbel der Armut“. „Wir haben daran gemerkt, wie abgefahren das ist, was wir hier machen“, sinniert Markus Keuler, der den Spanischen Altar gebaut hat. „Immer nur Luxusmöbel für einen exklusiven Kundenstamm, das kann's nicht gewesen sein“, ergänzt Max Steinberger. „Young Constructives Facing Midlife Crisis“ nennen sich die beiden 26 und 35 Jahre alten Möbeltischler. Ihre „Werkstatt für Sinn- und Sachlichkeit“ ist kein vielversprechender deutscher Memphis-Ableger, sondern eine Kneipenlaune, hinter der sich nichts verbirgt als die Lust an der Selbstironie. Locker haben sie um den Spanischen Altar ihre Möbel der Armut gruppiert: einen Wandschrank aus drei übereinandergestellten Pappkartons mit einem Besenstiel als Scharnier, von außen mit Penny- Tüten gegen den Regen abgedichtet, von innen sorgfältig mit Kitkat- Kartons ausgekleidet. Ein Schlafwagenzelt aus zwei Einkaufswagen mit herausgenommenen Seiten- und Vorderteilen: ein Brett dient als Liegefläche, über eine Dachkonstruktion aus Latten und Bindfäden läßt sich eine graue Mülltütenplane abrollen, in die eine halbdurchsichtige Plastikfolie Fensteröffnungen zum Blick auf den Sternenhimmel zaubert. Das Tütenregalsystem besticht durch Schlichtheit: Neun Aldi-Tüten sind im regelmäßigen Drei-mal-drei-Raster an einer Bindfadenkonstruktion aufgehängt. Die Tütenöffnung ist jeweils durch ein hölzernes Quadrat stabilisiert und setzt im Betrachter sofort Verstauungsphantasien frei. Ein Plastiktütentragegestell löst das Problem der vielen Plastiktüten: Rucksackgleich können sie auf einem hölzernen Rahmen befestigt und transportiert werden. Und eine Lampenserie rundet die Kollektion ab: Steh-, Tisch- und Hängeleuchte sorgen für die rechte Beleuchtung ohne Stromanschluß: mit einer Flasche ohne Boden, in die Teelichter gestellt werden können – sturmsicher verschlossen durch einen Mayonnaiseglas-Deckel – oder mit einem Kronleuchter aus zusammengebundenen Taschenlampen.

Natürlich haben die beiden Young Constructives gewußt, daß

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sie sich mit ihrer Kollektion sehr weit auf ungesichertes Terrain vorwagen – nicht zufällig fällt im Gespräch mehrfach das Wort „Gratwanderung“. Es ist nur zu leicht, die ausgestellten Objekte zynisch zu finden, und das Presseecho trieft teilweise vor moralischer Empörung: Obdachlose brauchten Wohnungen und keine Möblierung für das Leben auf der Straße, heißt es da, und wirklich Arme hätten keinen Bedarf an durchgestylten Tütenmöbeln. Womit das Weltbild wieder im Lot wäre.

Schwieriger ist es, die Provokation dieser Möbelkollektion auszuhalten, denn Keuler und Steinberger haben sich ein halbes Jahr lang in der Szene umgesehen, haben die Hamburger Platten und ihre Bewohner aufgesucht, sich mit den Obdachlosen unterhalten und sie nach ihren alltagspraktischen Bedürfnissen gefragt. Große Farbfotos der Wohn- und Schlafplätze ergänzen darum die „Möbel der Armut“: Auch diese Wohnstätten haben ihre Ordnungen und Systeme, und wer sich mit Suff und Sozialamt herumschlägt, verliert nicht automatisch das Recht auf ein gestaltetes Umfeld, auf funktionale und schöne – ja, warum nicht auch schöne – Gebrauchsgegenstände.

Natürlich ist die Inszenierung der Young Constructives keine Prototypenschau à la Ikea für Arme – die meisten Möbel sind bewußt unpraktisch konstruiert und nicht für die Härten des Straßenlebens ausgelegt. Einen Denkanstoß wollen sie geben – und in ihrer ästhetischen Überspitzung eine bitterböse Kritik des gegenwärtigen Designfetischismus formulieren.

Eines der ausgestellten Modelle allerdings ist ganz praktisch an den Lebensbedingungen von Menschen ohne Wohnung orientiert – eine Art Stadtmobil auf Rädern, in dem Obdachlose ihre Sachen verstauen, sich aber auch geschützt zur Nachtruhe betten können. Abschließbar soll es sein, fest und stabil, aber auch beweglich. Ausgelegt als modulares Baukastensystem, soll es mit einfachsten Werkzeugen zusammengebaut werden können.

Auch dieses Stadtmobil ist kein serienreifer Prototyp. Aber ein Appell könnte es sein, ein Aufruf an die Heerscharen der Möbel- und Industriedesigner, sich mit ihren Entwürfen nicht ausschließlich an den Luxusbedürfnissen kleiner Konsumentenschichten zu orientieren. Und eine leise Erinnerung an das Modell Bauhaus, an die Utopie preisgünstiger und dennoch nicht billig gestalteter Möbel und Gebrauchsgegenstände. „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ – das alte Hannes-Meyer-Postulat scheint den Young Constructives heute aktueller denn je.

Die Edelhölzer des Spanischen Altars und die Plastiktüten und Dachlattenkonstrukte der „Möbel der Armut“, der gelassen Luxus verströmende Solitär inmitten provisorischer Requisiten einer Randexistenz – das treibt natürlich das Modethema der Neuen Bescheidenheit bis ins äußerste Extrem. Aber wissentlich oder ungewollt haben Markus Keuler und Max Steinberger mit dieser Konfrontation ihre Möbelinszenierung zu einem Bild verdichtet, das weit mehr transportiert als bloße Designkritik.

Eine Luxusinsel im Meer der Armut – das ist auch das Museum für Kunst und Gewerbe am Hamburger Hauptbahnhof, dieses Archiv der schönen und der nützlichen Dinge, Tag für Tag umkreist von Junkies, die sich auf seinen Treppen den nächsten Schuß setzen. Noch lebt es sich relativ sorgenfrei auf den Luxusinseln – aber hinter der Lust an der Provokation mit wohlproportionierten Aldi- Tüten-Möbeln könnte auch eine Projektion der Angst stecken: die Furcht, es müßten eines nicht allzu fernen Tages noch viel mehr Menschen ihr trautes Heim mit Einkaufswagen, Tüten und Kartons sich einrichten.

„Möbel der Armut“. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Forum K, bis zum 17. September. Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.

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