Unterm Strich

Augen zu und durch: Optimismus spricht energisch zu uns aus den zahlreichen Faxen der Berliner Kulturbrauerei, die die Lesung von Günter Grass am 4. September ankündigen, ja preisen – mit original Grass- Zitaten: „Nicht nur der Prenzlauer Berg, ganz Berlin kam; und selbstverständlich zählten wir zum Publikum. Welch ein labyrinthisches Gemäuer! Alle, die an diesem Abend gekommen waren, wollten ins Kesselhaus, wo das Stehpult wartete ...“ Einführende Worte wird Kultursenator Ulrich Roloff-Momin zum besten geben – soll keiner sagen können, es hätte am Rahmenprogramm gefehlt! Und, wie schon die Tage jesacht: Einmal werden wir noch wach, dann wird das Grass-Schertransport-Monster-Werk auf seinem Zug durch Wald, Wiesen und Feuilletons diese Seiten hier passiert haben. Geliebt, gelobt, geheiratet? Tomorrow never knows ...

A propos Grußworte: Wer endlich einmal professionell beglückwünschen möchte, wie man das etwa von Walter Scheel, Weizsäcker und Helmut Schmidt kennt, liest den Ratgeber „Glückwünsche und Gratulationen“. Es handelt sich um ein Grundlagenwerk mit textkritischem Anhang. Die Originaltexte von Politikern werden mit Formulierungsalternativen kommentiert und zusammengefaßt. Außerdem sind 100 Musterbriefe zu den unterschiedlichsten Anlässen von A wie Abitur bis Z wie Zeitungsjubiläum (ja, Zeitungsjubiläum!) dokumentiert. „Grundsätzlich gilt, daß ein Glückwunsch immer aus dem Dreiklang dreier Ws besteht: dem Warum, der eigentlichen Würdigung und den Wünschen“, erläutern die Autoren Ingeborg Kaiser-Bauer, Michael Engelhard und Frank Weber. Demnächst auch auf Internet!

Früher, vor vielen, vielen Jahren, schämte sich der Kurzmelder immer sehr, wenn er berufs- oder sonstwie schicksalhaft bedingt im sogenannten „Partywagen“ mitfahren mußte, einem bemannten Straßenbahnwaggon, der auf dem gewöhnlichen Schienennetz der symbadischen Hometown die Wege der Passanten kreuzte (was besonders nachts gespenstisch aussah – lautlos Feiernde in gnadenlos einsehbarer Trance ...). Daß Rave hier alle Werte gründlich umgewertet hat, ist bekannt. Neu ist, daß jetzt auch die Bundesbahn auf den Bandwaggon aufspringt. „PopTrain“ ist der genialische Name eines Zuges, der ab gestern durch die Lande fährt und die „Bahnsteige in 49 Städten zu Erlebnisflächen macht“, wie die Beauftragte für Konzernkommunikation, Irene Liebau, mitteilt. „Wo der PopTrain halt macht (wie am 30. September im Berliner Hauptbahnhof), gibt es Live- Musik zum Mittanzen im Bahnhof und ein buntes Veranstaltungsprogramm für junge und junggebliebene Leute“. Da fällt uns ein Stein vom Herzen. Und tschüs und ab.

Karel Berman, tschechischer Baßbariton und einer der bekanntesten Sänger seines Landes, ist tot. Wie

die Wiener Staatsoper am Mittwoch mitteilte, starb Berman, der von den Nazis ins KZ geschickt wurde, bereits am 11. August im Alter von 76 in Prag. Im KZ Theresienstadt, wo er die längste Zeit inhaftiert war, gehörte Berman zur Künstlergruppe um die beiden Komponisten Viktor Ullman und Pavel Haas. In der in Theresienstadt entstandenen und auch aufgeführten Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Der Tod dankt ab“ spielte Berman die Rolle des Todes. Er hat als einziger der Gruppe überlebt.

Kulturposse der Woche: Der „König von Salzburg“ Gerard Mortier soll gehen – und bleibt doch. Obwohl vor allem Wiener Zeitungen in den letzten Wochen eine Kampagne gefahren hatten, die von Salzburg aus wiederum als „Intrigantenstadel“ gegeißelt worden war, ist die Verlängerung des Vertrags mit dem Intendanten der Salzburger Festspiele praktisch perfekt. Dieser Sicht haben sowohl Mortier selbst als auch Kunstminister Rudolf Scholten und Salzburgs Landeshauptmann (= Ministerpräsident) Hans Katschthaler in getrennten Interviews Nachdruck verliehen. Mortier war wegen seiner Opernaufführungen, die die Wiener Presse als „in puncto Qualität umstritten, in manchen Fällen nicht einmal das“ geißelte, in die Schlagzeilen geraten. Mortier dagegen hatte die klassische Kritikerbeschimpfung hervorgezaubert: „Sie sind wie Babys, die sich in ihrem eigenen Dreck am wohlsten fühlen und damit gern herumwerfen.“

Demnächst Skulpturenpark auf der Themse! Mit Blick auf die Feiern zur Jahrtausendwende gibt es Pläne, unter dem Titel „Waymarks“ Dreidimensionalitäten aufs Wasser zu schicken. Wer mitmachen darf, woher Geld kommt und was überhaupt gezeigt wird, ist noch unklar, aber „so etwas wie dieses Projekt hat es noch nie gegeben“, meint vorausschauend schon mal Glynn Williams, britischer Professor für Bildhauerei.