■ Nebensachen aus Moskau
: Wie Rußland seine Gästehäuser schützen will

Die Landschaft liegt selbstgefällig da, in satter Harmonie. Die Abendsonne taucht sie in Jadegrün. Gelegentlich wechselt eine Kuh die Straßenseite. Vor den Katen wachsen Holzvorräte für den Winter. Die Sonne meint es auch mit Rußland gut diesen Sommer. Kilometer für Kilometer ziehen so vorbei. Dann ein Häuschen. Genauer: ein Kontrollhäuschen der Verkehrspolizei. Raus schießt ein Soldat des Innenministeriums mit roter Kelle. Weiterfahrt untersagt. Hier in der Nähe der Stadt Twer nördlich von Moskau beginnt ein Naturschutzgebiet. Autos nicht zugelassen. Konsequenz verdient Lob. Die Bereitschaft des Innenministeriums, den kraftloseren Kollegen vom Umweltschutz unter die Arme zu greifen – dito. Doch etwas stört. Linker Hand rauschen die Wagen nur so vorbei. Wieso das? Der Uniformierte zeigt auf meine Nummernschilder, die sind gelb, und gelbe gehören Ausländern. Die Kennzeichen verraten den potentiellen Schädling. Doch Abgase sind Abgase, oder nicht? Die Dienstvorschrift sage es eindeutig, für Gelb gilt Rot.

Die Sache ist die – der „sapowednik“ ist nicht nur ein Naturschutz-, sondern überhaupt ein Schutzgebiet. Ein Gästehaus der russischen Regierung befindet sich etwa 40 Kilometer weiter landeinwärts. Ein ähnlicher Kontrollpunkt liegt 70 Kilometer in östlicher Umfahrung. Dort herrscht ein noch härteres Regime. An die 2.000 Quadratkilometer Schutzpolster müssen es im Ganzen sein, mit dem die Herrschenden sich absichern.

Der Uniformierte läßt sich nicht erweichen. Kein Wodka hilft, kein Bier. Also, wie machen wir das jetzt? „Zurück nach Moskau“, meint der Uniformierte eiskalt. Und zu Fuß? Zehn Kilometer bleiben bis zur Datscha, meinem Ziel. Er grinst. „Bitte sehr.“ Nun gerät die Logik durcheinander. Wenn ich – der ausländische Spion oder Attentäter – mich zu Fuß auf den Weg mache, den Wagen mit den gelben Nummern am Häuschen abstelle, sieht die Passiervorschrift keine weiteren Hindernisse vor. Daraus schließe ich: Spion ist erst, wer motorisiert ist. In der Zwischenzeit hat sich ein Einheimischer dazugesellt. „X-mal hier gewesen und kennt den Feldweg über die Kolchose nicht?“ Natürlich hat er recht, als Spion sollte man zuallererst terrainfest sein. Der Kollaborateur liefert kostbare Tips, anscheinend ist er sich seines Tuns nicht bewußt. Die Uniform sieht ihn scheel an. In dem Moment hält ein beigefarbener Wolga. Zwei ranghöhere Offiziere entsteigen ihm. Es sind Mischa und Sergej, die nebenan ihre Datschen bauen. Man kennt sich, sie haben des öfteren ihre goldenen Kontakte selbstlos zur Verfügung gestellt. Demnächst werden ihre Bausoldaten mal eben den Brunnen mit ausheben. „Macht der Schwierigkeiten?“ Die beiden haben kein Benzin mehr, ansonsten würden sie mich rumfahren. Das Angebot steht. Für derlei Fälle habe ich einen Ersatzkanister. Es handelt sich bei den beiden nicht um ganz einfache Militärs, ihr Arbeitgeber ist die Gegenaufklärung.

Der Wachtposten zieht sich in seine Schmollecke zurück. Das Verwirrspiel ist perfekt. Nun war der Ausländer vorübergehend wieder motorisiert – also ein Spion? –, allerdings mit unverfänglicher Nummer. War er soeben zweier Doppelagenten und eines Spions ansichtig geworden?

Am nächsten Tag jogge ich zurück, hole den Wagen und greife den Vorschlag des Einheimischen auf. Schließlich müssen die jungen Kartoffeln nach Moskau. Klaus-Helge Donath