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Der Angriff auf das Zentrum Sarajevos, bei dem 33 Menschen getötet wurden, stellt die Fortsetzung der Friedensgespräche in Frage. Bosniens Premier Silajdi: Nicht einfach weiter reden, während täglich unschuldige Menschen massakriert werden

Der Angriff auf das Zentrum Sarajevos, bei dem 33 Menschen getötet wurden, stellt die Fortsetzung der Friedensgespräche in Frage. Bosniens Premier Silajdžić: Nicht einfach weiter reden, während täglich unschuldige Menschen massakriert werden

Terrorangriff auf das Ghetto Sarajevo

Hand- und Einkaufstaschen, rotgefärbte amerikanische Zigaretten, Schuhe und abgerissene Gliedmaßen liegen verstreut zwischen den Blutlachen mitten auf der Straße vor dem Obst- und Gemüsemarkt im Zentrum Sarajevos. Zahlreiche blutüberströmte Menschen, die zur Haupteinkaufszeit lediglich ein paar Nahrungsmittel besorgen wollten, werden verletzt in Taxis und sämtliche verfügbaren Privatautos geladen, die mit lautem Gehupe in Richtung Krankenhäuser losrasen. Aus einigen überladenen Fahrzeugen hängen Verwundete heraus.

Unterdessen versuchen Menschen, Verwundete vom Platz zu zerren, die Blut spucken und vor Schmerz zucken. Manche Körper fallen bei den Rettungsversuchen buchstäblich auseinander. Ein Mann mit gespaltenem Schädel hat noch ein Motorrad zwischen den Beinen. Unter den Toten viele Frauen, ältere Menschen und auch Kinder.

Die meisten Getöteten sind Frauen

Das Kosevo-Krankenhaus von Sarajevo kann die große Zahl der Schwerverletzten zunächst nicht aufnehmen. Viele müssen vor dem Gebäude auf Behandlung warten. Die Polizei riegelt die Straßen um den Marktplatz ab.

Der Schock in der belagerten Stadt sitzt tief nach dem Granatenangriff, den die Menschen hier den bosnischen Serben zuschreiben. Nachdem es eine Woche lang weitgehend ruhig geblieben war, hatten sich viele Bewohner wieder auf die Straße getraut. Die Markthallen sind so ziemlich die einzigen Orte, an denen sich die Menschen noch in der Öffentlichkeit treffen und unterhalten. Aus dem spärlichen Angebot wählen sie das Bezahlbare aus. Der nunmehr getroffene Obst- und Gemüsemarkt war auch eine beliebte Verkaufsstelle für Zigaretten. – Wer immer die Granate oder Granaten abfeuerte, er wußte, daß er kurz vor Mittag viele Menschen treffen würde. In unmittelbarer Nähe befinden sich die Markthallen von Markale, in denen vor eineinhalb Jahren bei einem bosnisch-serbischen Granatenangriff 68 Menschen starben. Als Ersatz waren drei neue, ebenfalls überdachte Märkte eingerichtet worden, unter anderem der jetzt beschossene.

Daß es kaum mehr Märkte unter freiem Himmel gibt, konnte die Tragödie nicht verhindern. Offenbar bewirkte eine einzige Granate das Blutbad. Das 120-Millimeter- Geschoß streifte das Haus gegenüber der Markthalle. Vor den Splittern konnten die Opfer nicht mehr ausweichen. Fünfzehn Leichen werden allein in den ersten zwanzig Minuten nach dem Einschlag in die Leichenhalle Sarajevos gebracht.

Bis zum Nachmittag sterben 33 Menschen, 84 werden verletzt. Polizisten nehmen die Ausweise der Getöteten an sich, die meisten von ihnen Frauen. UN-Soldaten beginnen eine Stunde nach den Einschlägen, Fotos von dem Markt und seiner Umgebung zu machen. Um diese Zeit verlassen unweit des Marktes wieder die ersten Bewohner ihre Häuser.

„Es sieht fast so aus, als seien wir ein Ghetto des Tötens geworden“, sagt der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdžić bei einem Rundgang durch die Krankenhäuser. „Ich glaube nicht, daß wir einfach so weiter über den Frieden reden können, während unschuldige Leute in Sarajevo täglich hingeschlachtet und massakriert werden.“ Dominique Chabrol (AFP),

Sarajevo

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