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Kühle Brise und heiße Nächte

In den Sommermonaten kommen Araber aus den Golfstaaten nach Kairo, um sich zu vergnügen. Das Geschäft mit der Prostitution blüht. Aber auch Heiratsvermittlerinnen haben Konjunktur  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Sie sieht nicht so aus, wie man sich landläufig ein Zuhälterin vorstellt. Etwa fünfzig Jahre alt, lebt Hagga in einer einfachen Wohnung im Kairoer Nobelviertel Muhandsiyn. Ihr schwarzer Überwurf und ihr Kopftuch zeugen von einem eher traditionellen Blick auf die Welt. Auch ihre Sprache besticht mit allerlei religiösen Floskeln. „Morgen können Sie zwei Mädchen haben, Inschah Allah – so Gott will. Für die möblierte Wohnung zahlen Sie extra. Möge Gott es uns einfach machen.“

Besonders in den Sommermonaten läuft in der ägyptischen Hauptstadt das Geschäft mit den möblierten Wohnungen mit dazugehöriger Haushaltshilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jedem Alter und mit jeder Figur auf vollen Touren. Das ist die Zeit, wenn die Khalidschiyn – Araber aus den Golfstaaten – nach Kairo kommen auf der Suche nach einer kühlen Brise und heißer Unterhaltung.

Fast eine Million arabischer Touristen, meistens Saudis, haben die Nil-Metropole letztes Jahr besucht. Sie machen inzwischen ein gutes Drittel aller Besucher Ägyptens aus. Tendenz steigend. Fast 100.000 Kuwaitis wollten sich die Sommerparty ebenfalls nicht entgehen lassen.

Einer von Kairos glitzerndsten Boulevards – die „Straße der Arabischen Liga“ – wird inzwischen im Volksmund nach Kuwait Citys berühmter Einkaufsstraße „Salmiya- Straße“ genannt. Jeden Sommer füllen sich die Vergnügungsstätten der Stadt mit Khalidschiyn. Gerade einmal einen Steinwurf von der Straße der Arabischen Liga entfernt, versammeln sich in den teureren ersten Reihen des ägyptischen Nationalzirkus die Großfamilien aus dem Golf. In den Vergnügungsparks der Stadt rammen verschleierte kichernde Golf-Mädchen die Autoscooter ihrer männlichen Gegenparts. Die Golf-Jugendlichen, denen der Sinn nach arabischer Discomusik steht, zahlen mehr als umgerechnet 150 Mark für einen Tisch direkt vor der Bühne, auf der eines der ägyptischen Popidole für ihre Unterhaltung sorgt.

In den Nachtclubs an der Pyramidenstraße versuchen Männer aus den Golfstaaten die Zeit totzuschlagen, indem sie die ägyptischen Bauchtänzerinnen mit Geldscheinen bewerfen. Offensichtlich ein lukratives Geschäft für die Tänzerinnen, die sich inzwischen zunehmend darüber beschweren, daß ihnen die eingereiste Konkurrenz russischer Bauchtänzerinnen das Leben schwermacht.

Doch für einige Golf-Männer ist das nicht genug an Unterhaltung. Jedes Jahr beleben sie das Prostitutionsgeschäft der Stadt. Obwohl es offiziell illegal ist, scheinen die ägyptischen Behörden beide Augen zuzudrücken. „Aufgrund möglicher politischer Verwicklungen“, wie ein ägyptischer Politologe glaubt. Nicht zuletzt geht es dabei schließlich auch um harte Währung. Unnötig zu erwähnen, daß die so erzielten Profite nicht ihren Weg in irgendeine offizielle Statistik finden.

Selbst ägyptische Männer, die aussehen, als könnten sie selbst aus den Golfstaaten stammen, werden inzwischen offen auf der Qasr-al- Nil-Straße im Zentrum Kairos angesprochen. Einige der luxuriösen Restaurants mit Blick auf den Nil wechseln ihre Kundschaft nach Mitternacht. Dann kommen nicht mehr ganze Familien zum Dinieren, sondern Gruppen von Golfarabern und ungewohnt provokativ bekleidete Frauen, die sich rund um die Bar versammeln. Gelegentlich werden die Golfaraber mit ihren weißen Dischdaschas auch schon mal am Flughafen direkt mit Angeboten für „möblierte Wohnungen“ angelockt.

Ein Netz verschiedenster Menschen, die in das Prostitutionsgewerbe involviert sind, macht das verbotene Geschäft fast zu einem öffentlichen Ereignis. Etwa auf der Nil-Insel Zamalek: Abu Muhammad, der Pförtner und Hausmeister, braucht nicht lange, um die Frage zu verstehen: „Eine Wohnung für 24 Stunden, um sich einmal so richtig auszuspannen, ganz besonders nachts.“ Der Makler ist schnell informiert und ruft direkt den Wohnungsbesitzer an. Über die Miete ist man sich bald einig. Der Makler bekommt seine Kommission, und der Pförtner, der für alle weitere Logistik sorgt, erhält sein Schweigegeld.

In einem dunklen Zweizimmerapartment bereitet die Haushaltshilfe Fatima das Eis für den Whiskey vor. Sie ist verantwortlich für das Wohlbefinden des Gastes, bis das „richtige Mädchen“ vorbeischaut. „Für ein paar Pfund bin ich auch bereit“, bietet sich die 40jährige an, als sie die Klimaanlage einschaltet. Fatima sieht aus wie jene Frauen aus den Slumvierteln Kairos, die ihren Überlebenskampf aufgenommen haben, indem sie sich in den reicheren Vierteln als Putzfrauen oder Köchinnen verdingen.

Um die Zeit totzuschlagen, erzählt Fatima stolz von ihren vier Kindern, deren Ausbildung sie nun aus eigener Tasche bezahlen kann. Sie arbeitet hier, seit ihr Mann vor zwei Jahren gestorben ist. Manchmal werden die Wohnungen an Familien vermietet, die in Kairo Urlaub machen wollen, meist quartieren sich aber Männer aus dem Golf ein. Sie bevorzugt ersteres, aber „was kann ich machen“, fügt sie hinzu, „Geschäft ist Geschäft“.

Fatima kennt sich aus im Geschäft. Die Nachricht von den vermieteten möblierten Wohnungen breitet sich unter den Zuhältern aus, „und dann kommen die Prostituierten wie die Ameisen“, beschreibt Fatima. Einzelne Prostituierte gehen tagsüber von Tür zu Tür. Manchmal kommen die ersten Anfragen schon um fünf Uhr morgens, weiß Fatima zu berichten. Die Prostituierten machen ihre Runde bis zum späten Nachmittag, um dann von einer an noch härteres Arbeiten gewöhnten Nachtschicht abgelöst zu werden.

Die zwanzigjährige Aisha kommt von der anderen Seite der Brücke aus dem Armenviertel Imbaba, das sich vor einigen Jahren als Hochburg militanter Islamisten einen Namen gemacht hat. Mit ihrer aufgetakelten Frisur, einer dicken Lage Make-up und einer Wolke von Parfüm wirkt sie nicht gerade wie eine Braut der militanten Islamischen Gruppe.

Anders als die Haushaltshilfe Fatima, die weder lesen noch schreiben kann, besitzt Aisha ein Handelsabitur. Eine ihrer Schulfreundinnen hatte sie vor wenigen Monaten ins verbotene Geschäft eingewiesen. Sie sieht sich gerade nach anderer Arbeit um, sagt sie. Sehr verlockend dürfte der Arbeitsmarkt allerdings nicht auf sie wirken. Als Prostituierte verdient sie in ein paar Tagen soviel wie ein staatlicher Buchhalter in einem ganzen Monat.

Der soziale Hintergrund der Frauen scheint recht unterschiedlich zu sein. Einige Schlußfolgerungen können aus Studien gezogen werden, die über Frauen gemacht wurden, die wegen sogenannter „Sexualdelikte“ verhaftet wurden. „Anders als bei anderen Delikten variiert der soziale und wirtschaftliche Hintergrund dieser Frauen erheblich“, berichtet eine Forscherin vom Nationalen Zentrum für Soziologische und Kriminologische Studien. „Es ist erstaunlich, wie gut ausgebildet manche von ihnen sind“, sagt sie.

Unterdessen sprechen Ärzte privat von einem Ansteigen der Aids-Fälle aufgrund von Bluttransfusionen (meist außerhalb Ägyptens vorgenommen), Drogenmißbrauch und nicht zuletzt Prostitution. Aisha jedenfalls bricht auf die Frage, ob die Golfaraber Kondome benutzen, nur in Lachen aus. Sie selbst denkt auch nicht weiter über die Risiken nach, sagt sie.

Für das offizielle Ägypten ist es immer noch schwer, mit dem Problem umzugehen. Noch letztes Jahr behauptete Sausan El- Scheich, die Sprecherin der ägyptischen Aids-Gesellschaft, daß illegale sexuelle Beziehungen (gemeint sind außereheliche Beziehungen) aufgrund der Lehren des Islam nicht verbreitet seien. Die Existenz von Homosexualität verleugnete sie gar völlig.

Um der Prostitution einen islamischen Deckmantel zu geben, unterzeichnen manche der Frauen geheime Eheverträge mit ihren Sommergästen. Diese in Ägypten unter dem Namen „Zawag al- Urfi“ bekannten Eheverträge werden ohne Zeugen geschlossen und enden meist gegen Ende des Sommers in Scheidung. Die meisten islamischen Rechtsgelehrten verurteilen die Zawag-al-Urfi-Methode als einen Versuch, Prostitution zu legalisieren.

Neben der Suche nach Sommerbekanntschaften kommt so mancher Mann aus dem Golf auch nach Ägypten, um nach einer richtigen Braut Ausschau zu halten. Diese Art von Braut-Tourismus boomt vor allem in den Dörfern rund um die Nildelta-Stadt Mansura. Ihr eilt der Ruf voraus, die „attraktivsten Bräute“ hervorzubringen. Es geht die Mär, daß Napoleons Soldaten sich bei ihrer kurzen Expedition nach Ägypten vor fast zwei Jahrhunderten mit der örtlichen Bevölkerung vermischten. Bis heute finden sich dort deren Nachfahren, Traumfrauen nach arabischem Geschmack, mit heller Haut und feinem, glattem Haar.

Ein Ruf, der bis an die andere Seite des Roten Meeres reichte – und schon rochen die ersten informellen Heiratsvermittler den lukrativen Braten. Einige ältere Frauen stürzten sich ins Geschäft. Auf Anfrage präsentieren sie ihren männlichen Kunden eine Reihe von Fotografien heiratsfähiger Frauen. Ist die Wahl getroffen, kommt eine Einladung für ein Gespräch unter vier Augen, und wenn die Braut für gut befunden wird, machen sie und ihr künftiger Ehemann sich auf dem schnellsten Weg in dessen Heimat.

Auch in Giza, der Nachbarprovinz Kairos, gibt es einige Dörfer, die bekannt dafür sind, daß sie ihre Töchter in den Golf verheiraten. Das Dorf Hawamdiya lebt in dem Ruf, besonders kecke Töchter hervorzubringen. „Ihr Töchter von Hawamdiya, mit euren bunten Schals und euren kohlschwarzgeschminkten Augen – die Hengste liegen euch zu Füßen, wenn ihr wiegend vor ihnen stolziert.“ Ägyptische Sprichwörter wie dieses finden auch auf der arabischen Halbinsel aufgeschlossene Zuhörer. Für manche der verarmten Bauern rund um Mansura oder Hawamdiya ist die Heiratsvermittlung das Geschäft ihres Lebens. Zehntausende von Mark können als Brautgeld den Besitzer wechseln. Die Heiratsmaklerin selbst bekommt zehn Prozent als kleine Aufmerksamkeit für ihre Mühen.

Neue Häuser aus Zement, ein neuer Kühlschrank, ein Videogerät, vielleicht ein Job für den neuen Schwiegersohn – unbegrenzt sind die Möglichkeiten, die sich da auftun. Einige der Dörfer haben sich zu Zwei-Klassen-Gesellschaften entwickelt: diejenigen, die es zu neuem Besitz gebracht haben, indem sie ihre Töchter an den Golf verheiratet haben, und die Habenichtse, die es nicht geschafft haben oder die sich weigern, an dem Spiel teilzunehmen.

Trotz Sex- und Heiratstourismus ist Ägypten allerdings weit davon entfernt, die Ausmaße eines „Thailands des Nahen Ostens“ zu erreichen. Aber die negativen Gefühle gegen die Golfaraber wachsen. Geschichten über die schlechte Behandlung von Ägyptern, die in den Golfstaaten arbeiten, tun ein übriges. Erst kürzlich machte in der ägyptischen Presse eine Geschichte die Runde, laut der ein ägyptischer Arzt in Saudi- Arabien zu achtzig Stockhieben verurteilt wurde, nachdem er sich beschwert hatte, ein Schuldirektor habe seinen Sohn vergewaltigt. Die Reaktion bleibt nicht aus. In einigen der feinen Boutiquen in Kairos „World Trade Center“ wurden vor kurzem gar erstmals Schilder in den Schaufenstern angebracht: „Wir verkaufen nicht an Saudis.“

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