: Eine Kompensation für das bisherige Versagen
■ Die Militäraktion der Nato schafft zwar kurzfristige Entlastung für die bedrängte Bevölkerung Sarajevos, dient aber längerfristig der Teilung Bosniens
Kurzfristig haben die bislang schwersten Luftangriffe der Nato auf Militärstellungen der Karadžić-Serben bei Sarajevo zumindest psychologische Entlastung gebracht. Nicht nur für die BewohnerInnen Sarajavos, die sich nun geschützter wähnen vor hinterhältigem Granatbeschuß, sondern auch für viele Menschen außerhalb Bosniens, die seit Jahren das Leiden der Zivilbevölkerung in Sarajevo und den anderen „UN-Schutzzonen“ mit ohnmächtiger Verzweiflung beobachten.
Für westliche Politiker – das zeigen die Reaktionen von Kinkel bis Clinton – war die Militäraktion vor allem Kompensation für ihr bisheriges totales Versagen im Umgang mit den Konflikten in Ex-Jugoslawien.
Dieses Versagen mußte früher oder später zwangsläufig zur „Ultima irratio“ einer derart massiven Militäraktion führen, die nun auch Menschenleben unter serbischen Zivilisten forderte. Diese Eskalation hätte sich vermeiden lassen, wären die seit November 1991 gefaßten zahlreichen Resolutionen und Beschlüsse zum Wirtschafts- und Waffenembargo gegen Serbien und die Karadžić-Serben konsequent durchgesetzt worden und hätte die UNO die von ihr eingerichteten „Schutzzonen“ tatsächlich geschützt. – Die mittel- und längerfristigen Folgen dieser Nato- Luftangriffe sind noch nicht absehbar. Erleichtern oder erschweren sie die Suche nach einer politischen Lösung? Und wie wird diese Lösung aussehen? Wenn die Nato tatsächlich die Fähigkeit der bosnischen Serben, Schutzzonen zu beschießen, völlig beseitigt, sind diese vielleicht bereit, die Kontaktgruppen-Karte für eine Verteilung des bosnischen Territoriums im Verhältnis von 51 zu 49 Prozent zu akzeptieren.
Doch diese Aufteilung sowie die damit inzwischen verbundenen Vorschläge der Clinton-Administration für Konföderationen zwischen den Karadžić-Serben und Serbien sowie zwischen der muslimisch-kroatischen Föderation und Kroatien sind keine tragfähige Lösung.
Sowohl in der bosnischen Armeeführung als auch innerhalb der Regierung wächst der Widerstand. Denn die US-Vorschläge laufen auf die Zerschlagung des UNO- Mitgliedstaates Bosnien und seine Aufteilung zwischen Serbien und Kroatien hinaus. Die starken Worte von US-Unterhändler Richard Holbrooke, der die Karadžić-Serben als „Haupthindernis“ für eine „Friedenslösung“ bezeichnete, sind, ebenso wie die gestrigen Militäraktionen, darauf angelegt, diese Tatsache vergessen zu machen.
Nach Abschluß der Militäraktionen wird die Regierung in Sarajevo um so massiver unter Druck Washingtons und anderer westlicher Hauptstädte geraten, dem Plan zur Zerschlagung Bosniens zuzustimmen. Vor allem aus innenpolitischen Motiven will die Clinton-Administration, aber auch die anderen westlichen Regierungen, das Bosnien-Problem jetzt so schnell wie möglich erledigen. Dies allein bestimmte den Zeitpunkt der gestrigen Nato-Luftangriffe. Die materielle Voraussetzung für eine derartige Aktion existierte spätestens, seit der UNO-Sicherheitsrat dem westlichen Militärbündnis 1993 das grundsätzliche Mandat für den Einsatz von Luftstreitkräften erteilt hatte. Doch die Nato reagierte weder, als im Februar 1994 eine serbische Granate auf dem Marktplatz von Sarajevo 68 Menschen tötete und über 200 schwer verwundete, noch nach ähnlichen Massakern, die mehr Opfer forderten, als der serbische Artilleriebeschuß vom letzten Montag.
Warum die Argumente, die bei diesen früheren Anlässen von wichtigen Mitgliedsregierungen der Nato gegen massive Luftangriffe angeführt wurden, im aktuellen Fall nicht mehr galten, müssen diese selbst beantworten. Der Verdacht liegt nahe, daß diese größte Militäraktion der Nato seit ihrer Gründung im Jahre 1949 über den aktuellen Bosnien-Konflikt hinausreichende Wirkungen erzielen soll: Sie dient der Relegitimierung des westlichen Militärbündnisses und der Wiedergewinnung seiner Glaubwürdigkeit, die seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und im Zusammenhang mit dem Konflikt in Ex-Jugoslawien stark beschädigt wurde. Diese Entwicklung schwächt all jene, die dafür plädieren, daß militärische Instrumente künftig – wenn überhaupt – nur noch unter eindeutiger Verantwortung kollektiver Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der OSZE eingesetzt werden.
Andreas Zumach, Genf
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