: Die Detonationen waren in Sarajevo gut zu hören: Es war der größte Angriff in der Geschichte der Nato. Ihre Bomber zielten auf Stellungen der bosnischen Serben. Für viele Menschen in der belagerten Stadt hatte das Donnern einen freudigen Kl
Die Detonationen waren in Sarajevo gut zu hören: Es war der größte Angriff in der Geschichte der Nato. Ihre Bomber zielten auf Stellungen der bosnischen Serben. Für viele Menschen in der belagerten Stadt hatte das Donnern einen freudigen Klang:
„Die Bomben sind wie Götterfunken“
Das Summen von Nato- Kampfflugzeugen sind die Menschen an der dalmatinischen Küste gewohnt, denn schon oft sind diese von Italien aus zu Übungszwecken in Richtung Bosnien geflogen. Doch in der Nacht zum Mittwoch schreckten viele aus dem Schlaf. Um 1.50 Uhr morgens war das Summen deutlich lauter. 60 Nato-Kampfflugzeuge waren es, die in dieser Nacht zum ersten großen Kampfeinsatz der westlichen Allianz gen Sarajevo flogen.
Um 2.10 Uhr hatten sie das Operationsgebiet erreicht. Aida Alibegić wurde aus dem Schlaf gerissen. „Der Lichtschein“, so berichtete sie am Telefon aus Sarajevo, „ist über die ganze Stadt zu sehen. Und die Detonationen sind deutlich zu hören. Auch von den Stellungen der Schnellen Eingreiftruppe am Berg Igman wird geschossen.“ Die 60 Kampfflugzeuge warfen ihre zerstörerische Fracht über den Stellungen der serbischen Belagerer ab. Gleichzeitig feuerten die französischen und britischen Einheiten der Eingreiftruppe vom Berg Igman auf die serbische Artillerie. „Ich setze mich jetzt ans Klavier und spiele erst mal Beethoven. Die Bomben sind wie Götterfunken.“ Aida Alibegićs Lachen verlor sich im Rauschen der instabilen Leitung.
Die zweite Welle erreichte die serbischen Stellungen vor Sarajevo um 5 Uhr morgens. Erneut waren 60 Maschinen beteiligt, die meisten aus Italien, manche aber auch vom US-Flugzeugträger „Theodor Roosevelt“. Die serbische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Aus einigen noch unversehrten Haubitzen beschossen die bosnischen Serben am Vormittag Sarajevo. „Doch sie haben keine größeren Schäden angerichtet“, berichtete der bosnische Rundfunk. Die Menschen blieben in ihren Häusern. Der dritte Angriff erfolgte dann am späten Vormittag.
Was die Menschen auf der serbischen Seite empfunden haben mögen, läßt sich nur erahnen. Wie viele Tote es gegeben hat, ist noch nicht bekannt. Ein serbischer Sender meldete, fünf Beobachter der Europäischen Union seien getötet worden. Sicher ist, daß ein großer Teil des militärischen Potentials der Belagerungsarmee ausgeschaltet wurde. „Die Angriffe sind noch nicht beendet. Sicher können wir schon sagen, daß die Luftabwehrstellungen der Belagerer zerstört worden sind“, erklärte Major Tariq Khan, ein Offizier aus Pakistan, der auch Sprecher der Schnellen Eingreiftruppe ist. „Bei der ersten Welle ging es auch darum, Radaranlagen und Kommunikationssysteme zu vernichten, dann erst Bunkeranlagen und die Artillerie. Wir haben deshalb auch Ziele in der Nähe von Mostar, in Goražde und um Tuzla aufs Korn genommen.“ Auch wurden einige Brücken zerstört. „Unser Ziel war es, dafür zu sorgen, daß kein Nachschub mehr in den inneren Belagerungsring gebracht wird“, erklärte Major Tariq Khan.
„Die Nato hat also doch ernst gemacht.“ Zlata G. ist Flüchtling aus Sarajevo. „Hätten sie es doch früher getan, dann wäre uns viel Blutvergießen erspart geblieben.“ Ihre Eltern, die noch in Sarajevo leben, hätten sich wegen des Angriffs der Nato sehr gefreut und rechneten nun damit, daß Sarajevo befreit werde. „Vielleicht kann unsere Armee jetzt die günstige Situation nutzen und ihre steckengebliebene Offensive zur Befreiung Sarajevos fortsetzen“, hofft sie.
Major Murphy, Offizier der Schnellen Eingreiftruppe, möchte von solchen Spekulationen nichts wissen. „Diese Aktion wurde unternommen, um die Sicherheit der UN-Schutzzone zu gewährleisten. Sie darf auf keinen Fall als die Unterstützung einer Kriegspartei verstanden werden.“ Zwar habe es auch aus Goražde Artilleriefeuer der bosnischen Armee gegeben. „Diese Aktion und der Angriff der Nato sowie der Schnellen Eingreiftruppe sind jedoch nicht mit einander abgestimmt gewesen.“
Man braucht jedoch kein Militärexperte zu sein, um zu erkennen, daß die Angriffe der Nato die Position der bosnischen Armee um Sarajevo verbessert haben. Seit die Aktion zur „Aufhebung der Blockade unserer Hauptstadt Sarajevo“ Mitte Juli steckengeblieben war, konnte die bosnische Armee keine größeren Militäraktionen mehr durchführen, sieht man von der Befreiung Bihaćs ab. „Die serbischen Artilleriestellungen waren einfach zu stark für uns“, erklärte schon vor Wochen ein Offizier der bosnischen Armee. „Wir haben gar nicht die Mittel, die Serben anzugreifen.“ Die wegen des Waffenembargos fehlenden schweren Waffen hätte die Generäle dazu verleitet, die eigenen Leute wie im Ersten Weltkrieg auf die Stellungen des Gegners zu hetzen. „Viele von uns sind damals gefallen.“ Erich Rathfelder, Split
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